Kickl ante portas: Warum will Österreich die FPÖ?

In diesem Artikel möchten wir uns mit der politischen Rolle der FPÖ beschäftigen. Anlass ist der anhaltende Spitzenplatz der Freiheitlichen in den Meinungsumfragen sowie die Resultate der jüngsten OGM Umfrage. Letztere hat ergeben, dass im Januar 2023 ganze 31 Prozent der befragten Österreicher die FPÖ in der Regierung wünschen! Die FPÖ ist nach 3 Jahren Opposition also politisch wieder zurück im Rampenlicht. Die befragten Wähler beider Großparteien (!) ÖVP und SPÖ haben laut OGM starke Präferenzen für Koalitionen mit den Freiheitlichen. Bei der Kanzlerfrage liegt Karl Nehammer mit 23 Prozent nur mehr mit einem Prozentpunkt vor FPÖ-Chef Kickl mit 22 Prozent.

Wir wollen uns in diesem Artikel deshalb ausschließlich mit der politischen Rolle der Freiheitlichen Partei in Österreich beschäftigen. Warum braucht eigentlich das politische Österreich die FPÖ? Was erwarten sich die Österreicherinnen und Österreicher von den Freiheitlichen? Wie setzt die FPÖ ihre Themen und wie erfolgreich sind ihre Kampagnen?

Die traditionelle politische Rolle der FPÖ in Österreich

In der 2. Republik hat die FPÖ bis dato zweimal der SPÖ (1970, 1983) und ebenso zweimal der ÖVP (2000, 2017) zur Kanzlerschaft verholfen. Sie war bisher in 4 Koalitionsregierungen (1983-1986/ 2000-2002 / 2002-2005 / 2017-2019) und duldete dazu einmal eine SPÖ-Minderheitsregierung (1970-1971)! Vier der bisher 17 Kanzler (Kreisky, Sinowatz, Schüssel, Kurz) der zweiten Republik verdanken ihr Regierungsamt somit auch den Stimmen der Freiheitlichen Partei Österreichs. Aber auch in Abgrenzung zu den Freiheitlichen wurde politisch Karriere gemacht: Die Kanzler Vranitzky, Klima und Faymann sind große Koalitionen in Abgrenzung „gegen die FPÖ“ eingegangen.

Die FPÖ lässt also politisch in Österreich seit 1970 niemanden kalt: Entweder wird mit ihr oder gegen sie Karriere im Bundeskanzleramt gemacht. Politisch abgemeldet war die FPÖ dabei machtpolitisch nur zweimal und das aufgrund von Konkurrenz im eigenen Lager! Sowohl bei der Nationalratswahl 2006 als auch 2008 kandidierte das BZÖ gegen die FPÖ und das dritte Lager war gespalten. Jörg Haiders Tod verhinderte dann 2008 angeblich eine Versöhnung und erneute Koalitionsverhandlungen eines geeinten dritten Lagers mit der ÖVP. Der zweite Spielverderber war Frank Stronach 2013. Sein Antreten (und jenes des BZÖ) kostete die FPÖ 2013 einmal mehr ihre Rolle als Mehrheitsbeschaffer.

Seit 2017 gilt jedoch wieder was von 1949-1971 und ebenso von 1983-2006 der Fall war: Es besteht mit der ÖVP eine bürgerliche Zweiparteienmehrheit im Nationalrat.

FPÖ & SPÖ: ein langer politischer Honeymoon

In den ersten Jahrzehnten der zweiten Republik wurde die FPÖ (als sie in den 1960ern quasi bankrott war) unter anderem von SPÖ-Gewerkschaftsgeldern finanziert und dazu wohlwollend von SPÖ-Politikern beraten und unterstützt. Kalkül der Genossen war damals eine Wiederholung des Deutschland Szenarios, nämlich eine Spaltung des bürgerlichen Lagers! In Deutschland wurde ja Willy Brandt mit Hilfe der FDP der erste SPD-Kanzler der BRD. Die ÖVP versuchte 1970 aus diesem Grund mit einer eigenen Wahlkampagne eine solche Koalition zu verhindern, konnte aber den bereits ausgedealten Kreisky (SPÖ)-Peter (FPÖ)-Handel nach der Wahl nicht mehr aufhalten:

Die dritte Kraft den roten Kanzler schafft!

https://androsch.com/media/geschriebenes/Datei2.pdf

Der politische Honeymoon zwischen SPÖ und FPÖ dauerte noch bis 1986. Zwischen 1983 und 1986 regierte man in einer Koalition, die dann aber mit Haiders Aufstieg endete. Erst im Jahr 1986 entwickelte die SPÖ dann anlässlich der Waldheim-Wahl eine neue politische Taktik: Die Nazi-Karte wurde gezückt, zuerst gegen den ÖVPler Waldheim und dann gegen den freiheitlichen Ex-Koalitionspartner. Das dominierende bürgerliche Lager musste ab da von außen gespalten bleiben, sonst wäre die Machtoption der SPÖ nämlich ähnlich dahin geschmolzen wie in Deutschland, wo der konservative CDU-Kanzler Helmut Kohl 1982-1998 mit der FDP durchregierte. Divide et Impera!

Das ist nicht ohne eine gewisse Chuzpe: Die mit echten Alt-Nazis durchsetzte FPÖ von 1970 und 1983, lange geführt vom einstigen SS-Obersturmführer Friedrich Peter (1958-1978), war der Wunschpartner von zwei SPÖ-Kanzlern. Die populistische Haider-FPÖ jedoch, angeführt von der ideologisch eher unverdächtigen Buberlpartie, war ab 1986 aber nun der Antipol, die bösen Rechtsrechten. Politisch begründet wurde dies mit Haiders Rechtspopulismus. Elegant umschrieben wurde die neue politische SPÖ-Taktik gegenüber den Freiheitlichen in den Medien mit dem Titel „Vranitzky Doktrin“ .

Die späte Dämonisierung der FPÖ: Die Vranitzky Doktrin

Seit damals grenzt sich die SPÖ nun von der FPÖ ab, wird aber kurzzeitig immer wieder machtpolitisch schwach. Haider hätte 2000 wohl auch Viktor Klima (SPÖ) zum Kanzler gekürt, wäre der bereit gewesen. Ditto wollte Kern 2017 zumindest verhandeln mit der FPÖ, scheiterte dabei aber an seiner eigenen Partei. Glaubt man Hans Peter Doskozil, wäre die Rendi-Wagner-SPÖ 2021 auch mit Kickl ein Zweckbündnis eingegangen. Machtpolitisch aber machte die Abgrenzung zur FPÖ für die „Roten“ vor allem in den wichtigsten Bundesländern Sinn: Die SPÖ verlor nämlich den Kärntner Landeshauptmann 1989 an Jörg Haider und 1996 wählten bereits 28 Prozent der Wiener die FPÖ und nur mehr 39 Prozent die SPÖ. Wie schon in der Monarchie stritten in den urbanen Räumen Deutschnationale und Sozialdemokraten um die Stimmen der Kleinbürger. Aus diesem Grunde war es für Sozialdemokraten hier besonders wichtig zu polarisieren!

ABER auch das war nie ohne Ausnahmen: In Kärnten regierte etwa die „Chianti-Koalition“ (2004-2006) bestehend aus SPÖ und Haider-FPÖ/BZÖ. Ebenso gab es im Burgenland zwischen 2015 und 2020, also mitten in der „Ibiza-Ära“, ebenso eine rot-blaue Koalition. Wenn es um Machterhalt und Posten auf Landesebene geht, dann kennen auch sonst kritische Landes-SPÖs auf einmal keine Vranitzky-Doktrin mehr.

Die Mainstreammedien haben diese Dämonisierung der FPÖ seit Haiders Aufstieg übernommen. Medial haben deshalb Haider wie später auch Strache gerne damit kokettiert und regelmäßig rechtspopulistisch provoziert. Diese Taktik versprach kontinuierlich mediale Aufmerksamkeit. Beim Ex-Parteichef Haider klang das etwa folgendermaßen:

Wir geben Geld für arbeitsscheues Gesindel aus, aber wir haben kein Geld für anständige Menschen. … Die, die da hinten stören, werden die Luft noch zum Arbeiten brauchen!

Jörg Haider, zitiert nach dem Standard: https://www.derstandard.at/story/418965/haider-vs-sueddeutsche-richter-befragte-haider-zwei-stunden-lang-zu-seiner-rhetorik

Es steigerte auch die Auflage von Zeitungen und Magazinen wie NEWS, die einst von Haider-Covern gar nicht genug bekommen konnten, oder der KRONE, die bis 2019 vom Online-Traffic der Strache-Facebook-Fanpage profitierte. Medien dramatisierten also die FPÖ, sparten nicht mit NS-Vergleichen und steigerten damit Auflage und Traffic. Die meist in Opposition befindliche Partei konnte so ihre politische Message transportieren und ihre Anhänger mobilisieren!

Aktuelle FPÖ-Kampagne „Festung Österreich“; Quelle: https://www.facebook.com/fpoe/

Österreich zuerst: Wie die FPÖ von der Oppositionsbank aus ihre Themen durchsetzt

Anders als in der Regel die regierenden Parteien ÖVP und SPÖ forciert die FPÖ seit Haiders Aufstieg ihre Themen meist ziemlich klar, simpel und effektiv. „Unser Geld für unsere Leute“ oder „FPÖ: Die soziale Heimatpartei“, oder eben jüngst „Festung Österreich: Grenzen schliessen, Sicherheit garantieren!“ Die linken Gegner der FPÖ und die Mainstream-Medien greifen das Narrativ meist sofort auf und dämonisieren es, um sich abzugrenzen. In jedem Fall aber hat man die Bevölkerung mit derartigen Kampagnen mehrheitlich positiv angesprochen!

Ein inhaltlich ausführlicheres Beispiel für FPÖ-Ideen ist das Österreich-Zuerst-Volksbegehren aus dem Jahre 1993, welches damals 300.000 Gegner animierte, dem Ruf einer linken Zivilgesellschaft zu folgen und beim Lichtermeer gegen diese freiheitlichen Forderungen zu protestieren. Und was war die Folge dieses „Aufstands der Zivilgesellschaft“ ? 30 Jahre später ist ein Großteil von Haiders damaligen Forderungen umgesetzt worden – vielfach von SPÖ-ÖVP Regierungen. Grund dafür: So narzistisch rechts waren die freiheitlichen Forderungen dann am Ende doch nicht. Vielmehr waren sie vielfach sogar ziemlich zukunftsweisend vernünftig in einer Gesellschaft, konfrontiert mit Massenmigration und kulturellen Konflikten! Das führt uns direkt zum politischen „Mehrwert“ der Freiheitlichen für viele Österreicherinnen und Österreicher!

Der politische „Mehrwert“ der FPÖ für viele Österreicherinnen & Österreicher

Der linksliberale mediale Mainstream im Land hat sich immer vom Rechtspopulismus und der christlich-konservativen ÖVP abgegrenzt und das obwohl (oder eben weil) Konservative und Freiheitliche zusammen die Mehrheit der Wähler im Land stellen! Dabei nimmt man „in Wien“ schon prinzipiell Gegenpositionen gegen die „bösen Rechten“ ein, selbst wenn deren Ideen eigentlich nicht unvernünftig wären. Eine Stimme für die FPÖ war daher immer eine klare Ablehnung des linksliberalen Wiener Establishments Die Wiener Eliten innerhalb des Gürtels scheinen nämlich manchmal zu vergessen, dass 90 Prozent der Österreicher nicht im urbanen Zentrum Wiens wohnen.

Der Aufstieg Haiders hat zu restriktiveren Migrationsgesetzen geführt, vielfach verabschiedet von SPÖ und ÖVP in ihren großen Koalitionen! Als Strache sich als einziger 2015/16 gegen die von naiven Linksliberalen forcierte „Refugees Welcome“ – Idee stemmte und in Umfragen Richtung 40 Prozent marschierte, korrigierte wenig später die türkise Kurz-ÖVP ihren Kurs und reüssierte bei Wahlen! Genauso verhält es sich jetzt bei der riesigen Flüchtlingswelle 2022. Die ÖVP hat wegen ihres grünen Koalitionspartners zu lange politische Rücksicht geübt und zu wenig proaktiv gegen 120.000 Asylanträge im Jahr 2022 unternommen. Die Rendi-Wagner-SPÖ negierte und ignorierte diese Probleme überhaupt! Alle europäischen Nachbarländer duckten sich instinktiv weg und ließen Österreich weitgehend mit seinen Problemen alleine. Kickls Aufstieg in den Umfragen wird also sicherlich die ÖVP zu ihren türkisen Wurzeln zurückzwingen und/oder eine „rechte“ Doskozil-Revolution in der SPÖ auslösen.

Die gelernten Österreicher wissen also wohl nur zu gut um diese Signalwirkung. Deshalb hat ja bereits auch fast jeder zweite Österreicher bei Wahlen die FPÖ oder zumindest einen ihrer Kandidaten einmal gewählt. So hat Norbert Hofer zum Beispiel in der ersten von zwei Stichwahlen zur Bundespräsidentenwahl 2016 bei einer respektablen Wahlbeteiligung von 73 Prozent ganze 49,65 Prozent erreicht!

Fazit

Die FPÖ fungiert also oft als wichtiges Korrektiv zu linken Strömungen. Sie wird zuerst von linker wie teils bürgerlicher Seite dämonisiert, ihre Position in der Ausländer- und Migrationspolitik wird dann aber mit Zeitverzögerung dennoch oft übernommen. 2019 wurde sogar den Grünen bewusst, dass eine zu sehr geschwächte türkise ÖVP zuviele Stimmen an die FPÖ verlieren würde und man ihnen deshalb auch Erfolge konträr zur grünen No-Border-Migrationsidee gönnen musste. Viele linkslinke Positionen sind in Österreich aber auch durch die Angst von SPÖ-Granden vor der FPÖ schon im Ansatz verhindert worden.

Politisch bleibt die FPÖ ein begehrterer Koalitionspartner als man annehmen würde, wenn man nur die lauteste SPÖ-Rhetorik verfolgt. So war laut Doskozil fast der gesamte SPÖ-Parteivorstand 2021 für eine Koalition mit der FPÖ gegen die ÖVP, desweiteren versuchte Christian Kern 2017 intern zumindest halbherzig die Basis für Verhandlungen mit der FPÖ zu sichern. Argumentativ begleitete er das öffentlich damals so:

Alle Parteien, die unsere Bedingungen erfüllen, sind willkommene Partner. Wenn sich die FPÖ so weit aus ihrem Eck bewegt, dass sie Themen derart mit uns mit trägt, dann sind auch wir bereit über eine Koalition mit ihr zu diskutieren. Das ist aber noch ein weiter Weg.“

„Wir wollen der FPÖ nicht den roten Teppich ausrollen. Dafür sind die Unterschiede in sachpolitischen Fragen noch zu groß. Wenn sich die FPÖ ändert, werden auch wir unsere Meinung ändern.“

Ex-SPÖ-Kanzler Kern 2017 über die FPÖ; Quelle: https://www.heute.at/s/christian-kern-fpo-muss-raus-aus-dem-eck–51727098

Dazu kann man nur sagen: Vranitzky-Doktrin… von wegen! Sobald es machtpolitisch Sinn macht, gibt es auch in der SPÖ kooperationsbereite Kräfte. Weil man schließlich auch große Überschneidungen beim kleinbürgerlichen Wählerspektrum, bei Arbeitern und Migranten mit der FPÖ hat.

Deshalb spielt die FPÖ eine wichtige Rolle im politischen System Österreichs. Sie verhindert schon alleine durch ihre Existenz, dass die österreichische Linke eine so starke gestalterische und einflussreiche Rolle einnehmen kann, wie etwa in Deutschland. Eine starke FPÖ verhindert eine Ampel-Mehrheit fast im Alleingang! Über Social Media und FPÖ-TV agiert die Partei auch als Korrektiv zum medialen Mainstream, etwa zum „Rotfunk“ ORF. (Zu dessen Rolle siehe: https://www.dermaerz.at/politische-doppelmoral-in-oesterreichs-medien/) Dazu kooperieren die Freiheitlichen immer wieder mit populistischen Massenmedien wie etwa der Kronen Zeitung zum gegenseitigen Vorteil!

Auf der bürgerlichen Seite übernimmt eine machtpolitisch flexible ÖVP deshalb regelmäßig gerne auch härtere Positionen in der Migrationspolitik von der FPÖ, um ihr Profil zu schärfen. Damit konnte die türkise „Neue Volkspartei“ in der Ära Kurz machtpolitisch wunderbar reüssieren. Die FPÖ spielt also immer wieder als politischer Taktgeber eine wichtige indirekte Rolle.

Links & Quellen

https://kurier.at/politik/inland/die-fpoe-und-ihre-lange-geschichte-der-abspaltungen/400701744

https://www.wien.gv.at/wahl/NET/GR961/GR961-109.htm

https://www.heute.at/s/christian-kern-fpo-muss-raus-aus-dem-eck–51727098

https://www.derstandard.at/story/418965/haider-vs-sueddeutsche-richter-befragte-haider-zwei-stunden-lang-zu-seiner-rhetorik

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230119_OTS0021/exklusive-ogm-umfrage-fuer-blickwechsel-zeigt-knapp-jeder-dritte-wuenscht-sich-fpoe-in-regierung

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