Die Corona-Pandemie trifft seit letztem Jahr die ganze Welt in freilich unterschiedlichem Ausmaß. Neben Europa und den USA sind allerdings insbesondere Südamerika und genauer gesagt Brasilien sehr schwer getroffen worden. Mit der brasilischen Virusmutation wird das Land nun noch einmal hart getroffen. Steht die Corona Todeszahl jetzt schon bei rund 270.000 (#2 weltweit), wird sie wohl durch die neue tödliche Welle leider weiter ansteigen. Auch wenn die Impfkampgne etwa auf dem Niveau Österreichs zu liegen scheint, was für ein Entwicklungsland wohl keine schlechte Ausgangslage wäre.
Politisch steht inmitten dieser Gesundheitskrise Präsident Jair Bolsonaro bei der Halbzeit seiner ersten Amtsperiode. So schlecht er sich bei der Corona-Bekämpfung schlagen mag, ist er dennoch relativ populär im Land. Weil er massive Hilfsgelder an die Bedürftigen auszahlen ließ und diesen so in der Not ein Einkommen verschaffte und ihre Familien ernährte. Seine politische Bewegung und seine Söhne kämpfen – in Brasilien ist das nichts neues – mit kleineren Korruptionsskandalen und Einflussnahmen. Ihm selbst scheint das aber wenig anhaben zu können.
Positiv aus einer rechtsstaatlichen Perspektive ist, dass seine Regierung – anders als von vielen Beobachtern befürchtet – die Legislative und die Gerichte weitgehend in Ruhe lässt. Es sieht also nicht nach der Errichtung einer Diktatur aus, die medial zumindest von Kritikern befürchtet wurde. Wobei man freilich wissen muss, dass in Brasiliens zersplitterten Parlament Bolsonaros Partei nur eine schwache Rolle einnimmt und er ständig politische Deals für alles Mögliche mit unzähligen anderen Parteien aushandeln muss.
Die brasilianische Politik
In Brasiliens Politik herscht heute ein rauer Ton zwischen der politischen Linken und den Bolsonaristas auf der politischen Rechten. Der ehemalige Präsident Lula sitzt sogar wegen Korruption im Gefängnis, was seine Anhänger „rechten“ Richtern anlasten. Die so genannten Lava-Jato- Ermittlungen legten Korruption offen, von denen sich viele Parteien bis heute nicht gut erholt haben. Politisch dominieren aktuell – klassisch Südamerika – Klientelismus und die Dominanz bestimmter Familien eine zersplitterte Parteienlandschaft. Parlamentarierer charakterisieren sich durch häufige Wechsel der Parteienzugehörigkeit, was es erleichtert politische Mehrheiten „zu kaufen“. Schwache Programmatik und populistische Strömungen ergänzen sich, während im katholischen Land ein messianischer Evangelikalismus um sich greift. Schon 1/5 aller Sitze im Parlament wird angeblich von den Evangelikalen dominiert. Auch Jair Messias Bolsonaro passte sich opportunistisch dieser Strömung an und ließ sich im Jordan in Israel ein zweites Mal taufen. Eine Aktion die ihm die Unterstützung mächtiger evangelikaler Gruppen sicherte.
Brasilien ist Whatsapp-Land, wo Wahlkämpfe durch großflächige Desinformationskampagnen („Fake News“) in den sozialen Netzwerken gewonnen werden. Ungefiltert erreicht so die Botschaft der Parteien wenig informierte Wähler und vermag es sie gut zu beeinflussen. Bolsonaros Partei Partido Social Liberal (PSL) war in der Abgeordnetenkammer nach der Wahl 2018 die stärkste Partei, hielt aber nur (!) 55 von 513 Sitzen. 2019 spaltete sich Bolsonaro dann aber selbst von „seiner“ Partei PSL ab (in die er erst 2018 eingetreten war) und initiierte die Gründung der Aliança pelo Brasil (APB), die als neues Machtvehikel des Präsidenten fungieren soll. Kurzum gilt also: Brasilianische Politik = etwas Chaos.
Bei den Kommunalwahlen im November 2020 wurden Bolsonaros Anhänger wegen seiner Krisenpolitik zwar abgestraft. Die Regierung liegt dennoch stabil bei 30-40 Prozent Zustimmung und auch eine Mehrheit der Brasilianer ist aktuell NICHT gegen den Bolsonarismus eingestellt. Hinter ihm stehen die Rechten, das Militär, die Agrarlobby und die Evangelikalen.
Brasilien in der COVID-19 Pandemie
Wie bereits erwähnt wurde das Land von COVID-19 schwerer getroffen als die meisten anderen Länder und hat nach den USA und noch vor dem Milliarden-Einwohner-Land- Indien die zweitmeisten Todesfälle weltweit. Nun grassiert die brasilianische CoV-Mutation im Land, welche die Ansteckungszahlen nocheinmal weiter nach oben schnellen lässt.
Schon die zweite Welle traf das Land ab November massiv und erreichte Mitte Januar ihren Höchststand, um dann bis Mitte Februar abzuflauen. Als dann auf immer noch hohem Niveau ab Mitte Februar die dritte Coronawelle einsetzte und neue absolute Rekorde brach, wie folgende Grafik zeigt. Das Gesundheitssystem war schon mit der zweiten Welle teilweise überfordert und gerät gerade an oder über seine Kapazitätsgrenzen. Es trifft Metropolen wie die ländlichen Gebiete.
Die Impfkampagne läuft vergleichbar dem EU-Durchschnitt eher schleppend an. Was für ein Entwicklungsland vielleicht jetzt nicht so ein schlechter Wert wäre, doch es besteht aktuell akuter Handlungsbedarf. Notfallzulassungen erfolgten etwa für den chinesischen Impfostoff Coronavac (der aber nur 50% Effektivität hat) und für AstraZeneca.
Die Folgen für Brasilien sind daher aktuell furchtbar: Krankenhäuser müssen Patienten ablehnen, vor den Kliniken bilden sich Warteschlangen. Schon im Januar herrschte Chaos im Amazonasbundesstaat in Manaus, wo Sauerstoffmangel und katastrophale Zustände herrschten und es viele Todesfälle gab. Dies führte zu landesweiten Protesten, als Krankenhäusern der Sauerstoff ausging. Alleine in der vergangenen Woche sind in Brasilien rund 10.000 Menschen dem Virus erlegen – was ein neuer Höchstwert für das Land ist. Die Infektionskurve im Land steigt steil nach oben: Allein in den vergangenen sieben Tagen um mehr als 30 Prozent!
Verantwortlich dafür ist auch die Regierung und deren mangelhaftes Krisenmanagement im Gesundheitssektor, sowie erratisches Verhalten des Staatspräsidenten. Der selbst an Corona erkrankte und sich an keine Abstandsregeln hielt. Impfungen und Abstandhalten macht Bolsonaro immer noch lächerlich.
Die Entwicklung der Wirtschaft
Bedingt durch Bolsonaros Unwillen viele Einschränkungen gegen die Pandemie zu verhängen, kam es zu weniger Einschränkungen als anderswo. Der Wirtschaftseinbruch betrugt für 2020 nur 4 Prozent, womit Brasilien besser als die meisten europäischen Länder in dieser Perspektive dasteht. Bolsonaro ist dementsprechend populär. Dabei halfen starke Hilfsmaßnahmen der Regierung Bolsonaro wie extra ausbezahlte Arbeitslosengelder und rasche Transfersofortzahlungen an bis zu 80 Millionen Bedürftige. Diese erhielten mit diesen Transfers teilweise mehr Geld als sie zuvor zur Verfügung hatten, weshalb die Konjunktur in der Folge dementsprechend milde einbrach. Ende des Jahres mussten diese Hilfen dann aber aus Geldmangel wieder eingestellt werden, weil sonst eine weitere scharfe Abwertung des brasilianischen Real drohen würde. Diese betrug bereits rund minus 20 Prozent im Jahr 2020.
Wirtschaftlich gesehen wird das Jahr 2021 deshalb wohl härter werden als 2020, weil weniger Mittel zur Bekämpfung der Probleme der Pandemie zur Verfügung stehen und das Land aktuell mit einer schweren dritten Welle kämpft. Brasilien ist zudem die wirtschaftliche Lokomotive ganz Südamerikas, weshalb das ganze Jahr 2021 für den Kontinent eine Bewährungsprobe werden könnte.
Umweltschutz
Für die Welt ist Brasilien vor allem aus einem Grund essentiell: Mit dem Amazonas, seinem weltweit größten tropischen Regenwaldanteil, verfügt es auf seinem Staatsgebiet über die wichtigste Grüne Lunge des Planeten. Eine Grüne Lunge die aber verstärkt von Brandrodung und Zerstörung bedroht ist, weil eben die brasilianische Agrarindustrie, illegale Holzfäller und viele Farmer die Ressourcen ihres Landes ausbeuten wollen, anstatt sie nicht anzutasten im Sinne der Menschheit.
Bolsonaro bestärkte diese mit starken Sprüchen und versprach Umweltschutzregeln seiner linken Vorgänger zurückzufahren. Sein Agrarminister ist vom gleichen Schlag und forderte mehr Rodungen ein ! So wurde Mitte 2019- Mitte 2020 etwa die Fläche Jamaikas gerodet, was einem sprunghaften Zuwachs von 10 Prozent entsprach (seit Bolsonaros Machtübernahme). Was eine Einmischung von Frankreichs Präsident Macron nach sich zog, die wiederum in Brasilien wüst kritisiert wurde. Macron forderte einen stärkeren Umweltschutz ein und kritisierte die Regierung Bolsonaro für ihre Aussagen. Im Land bestärkte diese Episode aber eher Bolsonaro, der sich westliche Einmischung in innere Angelegenheiten verbot.
Eine Position die sich – zum Glück – aber nun mit dem Machtwechsel in Washington so nicht halten wird. Bidens Regierung und der Green-New-Deal der EU werden den Druck auf Brasilien erhöhen etwas gegen Abholzung und Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes zu unternehmen. Die Gründung des Amazonasrates durch Bolsonaros Regierung ist daher als erstes Zugeständnis an den Westen zu werten, auch wenn das Ganze aktuell mehr Rhetorik als realpolitische Änderung ist. Der Westen soll also zumindest einmal politisch vorerst beschwichtigt, anstatt beschimpft werden. Biden und die EU werden hier nachhaken müssen.
Diplomatie: Das Verhältnis der Europäer/EU zu Brasilien & MERCOSUR
Seit dem Jahr 2007 besteht eine strategische Partnerschaft Brasiliens mit der Europäischen Union. Gipfeln soll das ganze im MERCOSUR Abkommen, wo seit 20 Jahren verhandelt wird. Es geht dabei um ein Abkommen mit Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien. Es geht darum, dass die 27 EU-Mitgliedsländer Zugang zu einem Markt mit etwa 260 Millionen Verbrauchern erhalten. Die österreichische Regierung stellt sich hier in die vorderste Front der europäischen Gegner des Abkommens. Grund laut Werner Kogler & Co.: Widerspruch zu den Zielen des Green New Deals und des Pariser Klimaabkommens. Sowie zu große Quoten für Agrarprodukte, die den Wettbewerb um Agrargüter hier in Europa wohl verschärfen werden.
Kritikern wie Österreich will die aktuelle portugiesische EU-Ratspräsidentschaft entgegenkommen, um das Abkommen endlich unter Dach und Fach zu bringen. Portugals Außenminister Santos Silva appelliert allerdings an einen Abschluss 2021:
Die Ratifizierung ist eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit der EU
Portugals Außenminister Santos Silva
Kulturell und wirtschaftlich bestehen zu Brasilien bereits seit langem wichtige Bande! Was vielen Europäern etwa nicht bewusst ist: Die Stadt mit der zweitgrößten europäischstämmigen Bevölkerung nach Moskau ist Sao Paulo in Brasilien. Auch politisch gibt es Gemeinsamkeiten: So übt Brasilien mit dem Westen Druck auf die linke Diktatur in Venezuela aus, der zahlreiche Menschenrechtsverletzungen angelastet werden, sowie einen Millionenflucht ihrer Bürger.
Brasiliens Außenpolitik & China
Wie andere aufstrebende Mächte wie Indien strebt auch Brasilien nach mehr Verantwortung in der multilateralen internationalen Diplomatie. Es engagiert sich in den G20 und will einen permanenten Sitz im UNO-Sicherheitsrat. Bis dato war das Land schon 10x nicht permanentes Mitglied im Sicherheitsrat und stellt Friedenstruppen bei diversen Einsätzen weltweit.
Der Bolsonarismus sucht aber noch seine außenpolitische Rolle mit seinem wenig verbindenden Motto: „Brasilien über alles und Gott über allem.“ Bolsonaro muss den traditionellen Multilateralismus hier mit seinem Nationalismus in EInklang bringen. Man wird sehen wie dies nach dem Machtwechsel in den USA funktioniert, da mit Trump schon ein sehr wichtiger Unterstützer Brasiliens weggefallen ist. Fraglich ist deshalb wie sich die künftige Beziehung zu den USA entwickeln wird. Die Umweltpolitik wird hier sowohl im Verhältnis zu Europa wie den USA essentiell sein.
Das zweite wichtige diplomatische Thema ist das Verhältnis Brasiliens zu China. Chinesischen Impfstoff akzeptierte man schnell, auch wenn Bolsonaro gleichzeitig lästerte, dass er sich diesen sicher nicht verabreichen lassen würde. In den letzten Jahren ist insbesondere wirtschaftlich die Abhängigkeit des Landes als wichtiger Agrarlieferant Chinas gewachsen. Sehr zum Unwillen vieler Brasilianer, wie auch Präsident Bolsonaros selbst, die sich gegen eine zu starke Abhängigkeit aussprechen. Und damit mit den USA und EU auf einer Linie sein dürften. China hat handelspolitisch als wichtigster Handelspartner beide mittlerweile übertroffen, weshalb ein Abkommen wie Mercosur da wichtige Abhilfe schaffen könnte. China freut sich jedenfalls über westliche Uneinigkeit auch im Falle von Mercosur und baut auch in Südamerika seine Machtposition aus.
Fazit
Brasilien ist also ein vielschichtiges Land und nicht nur Bolsonaro – man sollte also einseitige Berichte westlicher Medien in dieser Frage nicht überbewerten. Freilich hat das Land eine polarisierte Gesellschaft, sehr viel Armut und Kriminalität und wird von Korruption gebeutelt. Und performt wie aktuell bei der COVID-19-Pandemie beständig hinter seinen Möglichkeiten und Erwartungen. Das ist übrigens auch eine Folge seiner multikulturellen Gesellschaft, die sich unter einer netten Oberfläche in vielen Dingen nicht einig ist. Was ein warnender Ausblick in die Zukunft für Europa sein könnte, falls hierzulande mit der Migration so übertrieben wird, sodass sich der soziale Gesellschaftsvertrag auflöst wie in Brasilien. Trotzdem sollte man seine 210 Millionen Einwohner auf 8,5 Millionen km² nicht abschreiben.
Das Land wird politisch, ökonomisch und aufgrund des weltweiten Umweltschutzes gebraucht. Eine europäische Zusammenarbeit mit Brasilien ist prinzipiell in all diesen Bereichen möglich und auch notwendig und sinnvoll. Die strategische Rivalität des Westens mit China und Brasiliens Angst zu stark in eine Abhängigkeit von China zu geraten, sollten hier genügend gemeinsame Interessen auf beiden Seiten des Atlantiks schaffen. Das Freihandelsabkommen Mercosur kann so eine Chance bieten, dass gegenseitige Verhältnis weiter zu verstärken, auch wenn in Europa berechtigte Bedenken bezüglich brasilianischer Lebensmittelstandards und Dumpingmöglichkeiten bestehen.
Links & Quellen
https://www.worldometers.info/coronavirus/
Bulldozer Bolsonaro: Wie ein Populist Brasilien ruiniert