Das schiitische Iran der regierenden Mullahs hat ein Alleinstehungsmerkmal unter den Autokratien dieser Welt. Um dieses geht es in diesem Artikel. Ein „Mullah“ ist der Titel eines schiitischen islamischen Rechts- und Religionsgelehrten, also das schiitische Äquivalent zu einem Priester.
Die „islamische Republik“ Iran
Der iranischen Elite der streng gläubigen Mullahs gelingt seit 1979 ein Kunststück: Sie regieren mit den mittelalterlichen Regeln der Schariah das wohl westlichste, gebildetste und aufgeklärteste Volk im Nahen Osten. Das gelingt einerseits nur durch rohe Gewalt und ein Niederknüppeln der Opposition. Aber anderseits hat Staatsgründer Ajatollah Khomeini (1902-1989) es geschafft ein System zu erzeugen, welches sich wie eine Demokratie verhält, in dem aber Regierung wie Opposition eigentlich ein Produkt der herrschenden schiitisch-islamischen Theokratie sind.
Wahlen sind zugelassen und frei, nur die Kandidaten müssen zuerst von der theokratischen Elite abgesegnet werden. Im Iran gibt es in der Folge eine erlaubte Ideologie mit zwei Flügeln, die sich alle paar Jahre abwechseln. Viele echte Oppositionelle werden zu den Wahlen natürlich gar nicht erst zugelassen. Und stehen dann nicht am Stimmzettel. Bei den Wahlen trifft dann eine Auswahl von Politikern des Regimes aufeinander: moderate Konservative versus Ultrakonservative Hardliner. Und das iranische Volk darf dann aus diesen ihre Regierung auswählen. Auf dieses Schauspiel fällt oft dann auch die westliche Presse herein, wenn sie von den „oppositionellen Mullahs“ spricht, die aber ebenso Teil des Systems sind wie ihre „politischen Gegner“. Und über dieser „Demokratie“ thront ein religiöses Staatsoberhaupt das nicht abwählbar ist. Und dessen Veto und Wort Gesetz sind.
Das iranische Staatsoberhaupt
Das offizielle Staatsoberhaupt des Iran ist Muhammad al-Mahdī, eine mythische Figur des 7.Jahrhunderts, dessen Existenz eine Frage des schiitischen Glaubens ist. Diese mystische Figur soll zwischen dem 9. und 10. Jahrhundert nach Christus gelebt haben und wurde dann „entrückt“. Das bedeutet er verschwand nach dem schiitischen Glauben. Nach diesem Glauben lebt Muhammad ibn Hasan al-Mahdī im Verborgenen bis heute weiter und die Schiiten erwarten sehnlichst seine Widerkehr. Al-Mahdī ist also nicht physisch präsent! Und er braucht daher einen Vertreter auf Erden, der an seiner statt die Entscheidungen trifft. Dafür gibt es den „obersten Rechtsgelehrten„.
Der aus dem Kreis der Religionsgelehrten ausgewählte oberste Rechtsgelehrte herrscht nach iranischer Auffassung also in Stellvertretung des zwölften Imams al-Mahdī bis zu dessen Wiederkehr aus der Verborgenheit. Das bedeutet der gegenwärtige Oberste Führer Ajatollah Ali Chamenei regiert de facto als „Stellvertreter“ Al-Mahdīs den Iran. Chameinei ist dabei die höchste geistliche und politische Instanz, der Oberbefehlshaber des Heeres und eben das de fakto Staatsoberhaupt.
Die Theokratie der Mullahs
Wie wird man zum Staatsoberhaupt in einer Theokratie? Nun man sollte ein geistliche schiitische Laufbahn durchlaufen – wenngleich man nicht ganz an die Spitze kommen muss, wie man in den folgenden Zeilen sieht. Zunächst gibt es im Iran wie in allen Weltreligionen das religiöse Fussvolk – rund 200.000 einfache Geistliche: Sänger, Vorbeter und Prediger. Über diesen beginnt dann die schiitische geistige Hierarchie:
- Der Saghatoleslam („Vertrauter des Islam„) ist erste schiitische Ehrentitel, den man mit einem Abschluss einer theologischen Hochschule erwerben kann.
- Auf diesen folgt als nächste Stufe der Hodschatoleslam („Beweis des Islam„). Diese rund 30.000 Mullahs haben Teile der obersten Ausbildungsstufe abgeschlossen und unterrichten als islamische Rechtsgelehrte Studierende der mittleren Stufe. Der gegenwärtige regierende Premier Hassan Rohani ist ein solcher.
- Durch Abfassen eigener Traktate und islamischer Rechtsgutachten, sowie den Unterricht auf höchster Stufe sammelt man Schüler um sich und wird zum Ajatollah („Zeichen Gottes„). Von diesen gibt es rund 5000 im Iran. Der Oberste Führer Ali Chamenei ist einer davon.
- Die nächste Stufe ist dann der Großajatollah von denen es weltweit rund 20, im Iran rund 14 gibt. Der Weg dorthin erfordert bis zu 3 Jahrzehnte des Studiums, sowie eine religiöse Autorität und wachsende Gefolgschaft. Im Irak ist gegenwärtig ein solcher – Ali as-Sistani – die zentrale politische Figur im Lande. In der religiösen Praxis der Schiiten sucht sich ein normaler Gläubiger einen Großajatollah aus und lebt dann nach dessen Religionsverständnis.
- Die letzte Stufe ist der Mardschaʿ-e Taghlid („absolute Quelle/Instanz der Nachahmung„). Das ist das Äquivalent der Schiiten zum katholischen Papst und es gab in der Geschichte erst drei davon! Ihre Zahl ist deshalb so gering, weil alle Großajatollahs einem aus ihrer Mitte zumindest stillschweigend diesen Rang zuerkennen müssen. Und das ist offenbar relativ selten der Fall.
Der bis dato letzte von allen schiitischen Großajatollahs anerkannte Mardschaʿ-e Taghlid war Hossein Borudscherdi (1875-1961), von dem folgender durchaus bezeichnende Satz zur Theokratie überliefert ist:
Wir, die Geistlichkeit, sollen einen islamischen Staat gründen ? … Wir wären hundertmal größere Verbrecher als die, die jetzt an der Macht sind
Hossein Borudscherdi
Die Pasdaran – die Revolutionswächter
Eines haben die Mullahs offensichtlich von ihrem iranischen Vorgänger – dem Schah – gelernt! Auf die nationale Armee ist in einer Diktatur wenns brenzlig wird nicht immer Verlass. Vor allem wenn es darum geht als Exekutive der Regierung gegen das eigene Volk vorzugehen. Sie haben deshalb eine eigene paramilitärische Institution parallel zur Armee geschaffen: Die „Pasdaran“. Ihr deutscher sperriger Titel lautet: „Armee der Wächter der Islamischen Revolution„, meistens verwendet man bei uns das Wort „Revolutionswächter„. Diese bilden einen Staat im Staate und sollen Gerüchten zufolge 1/3 der Wirtschaft des Landes kontrollieren. Dazu kommt ihre paramilitärische Organisation und der politische Einfluss im Land bis hin zum Obersten Führer. Ihre primäre Aufgabe ist dabei gegen gegnerische politische Gruppen vorzugehen.
Man schätzt das 130.000 Revolutionswächter gegenwärtig unter Waffen stehen. Ihre Vertreter sitzen zudem im Parlament, den Streitkräften, der Regierung und an den Schalthebeln der iranischen Wirtschaft. Die Pasdaran-Armee ist sogar unterteilt in Heer, Luftwaffe und Marine. Auf das Konto ihrer Luftwaffe ging Anfang 2020 der aufsehenseregende versehentliche Abschuss einer iranischen Passagiermaschine. Die Eliteeinheit der Pasdaran sind die Al-Quds-Brigaden, deren Ziel es ist weltweit die islamische Revolution zu verbreiten. Dafür kämpften sie unter dem Kommando General Qasem Soleimanis im Irak, Libanon, Syrien und auch im Jemen. Die Al-Quds-Brigaden sind für die USA eine terroristische Organisation, der sie mehrere hundert tödliche Anschläge auf US-Soldaten und Einrichtungen vorwerfen. Sie kooperieren eng mit der radikal islamischen Hamas, sowie mit der Hisbollah. Ihr Führer Soleimani wurde aufgrund dieser US-Vorwürfe am 03. Januar 2020 auf direkten Befehl von US-Präsident Trump liquidiert.
Fazit
Das iranische Regime scheint trotz vieler ökonomischer Rückschläge, Aufstände, Massenproteste und der regionalen Feindschaft der sunnitischen Mächte ziemlich stabil zu sein. Wir werden uns also weiterhin mit ihnen auseinander setzen müssen. Ihre nuklearen Ambitionen dauern ja ebenfalls an und drohen die ganze Region in einen nuklearen Wettlauf zu stürzen. Wenn man sich die Struktur des Landes anschaut, darf man allerdings durchaus besorgt sein. Eine durchgehende Rationalität ist von dieser Theokratie wohl nicht zu erwarten.
Links und Quellen
https://www.nytimes.com/2020/01/02/world/middleeast/qassem-soleimani-iraq-iran-attack.html