Israel - Österreichs Blaupause für den 2ten Lockdown?

Österreich steckt nun mitten im zweiten Lockdown und die Infektionszahlen wollen nicht zurückgehen. Stand 12. November stehen wir bei rund 9.000 Ansteckungen am Tag. Das entspricht einem Promille der Bevölkerung, während gegenwertig mit rund 90.000 aktiven Fällen rund ein Prozent der Bevölkerung aktuell Corona positiv ist. Ein ziemlich hoher Wert also. In seiner Rede bei der Verkündigung des zweiten Lockdowns Österreichs verwies Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Israel was Erfahrungswerte zu Lockdown #2 betrifft. Das Land hat nämlich seit kurzem seinen zweiten Herbst-Lockdown hinter sich ! Ein Blick auf Israel ist also für Österreich ein Ausblick in eine mögliche nahe Zukunft! Wie lange wird es dauern bis die Zahlen wieder auf akzeptablen Niveau sind? Welche Verschärfungen sind vielleicht notwendig um das Ziel zu erreichen?

Die Ausgangslage

Ende September war die Lage in Israel nicht unähnlich der Lage in Österreich heute: große Teile der Bevölkerung waren Corona-müde und die Infektionszahlen explodierten. Die Kontaktverfolgung galt als mangelhaft, dennoch hatte der erste Lockdown gut funktioniert und die Zahlen waren bis Anfang September noch im grünen Bereich. Ab Anfang September bis Ende September explodierten dann aber die Zahlen wie zeitversetzt später in Österreich exponentiell. Die Todesraten stiegen massiv an und die Krankenhäuser kamen an ihre Leistungsgrenzen.

Die Maßnahmen

Mitte September verhängte die israelische Regierung deshalb eine landesweite Ausgangssperre: Vom 18. September bis 18.Oktober durften sich die Menschen maximal 1000 Meter von ihrem Wonsitz entfernen. Alle Geschäfte, ausgenommen Lebensmittelläden und Apotheken, musst schließen. Ebenso Gotteshäuser, Schulen, Parks und Restaurants. Die meisten Firmen wurden gezwungen wo möglich auf Home Office umzustellen. Organisationen wie die israelischen Verteidigungskräfte, der Geheimdienst Mossad und der Sicherheitsdienst von Shin Bet erhielten weitreichende Befugnisse, um gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium die Maßnahmen zu koordinieren und umzusetzen. Das gemeinsame Projekt «Shield of Israel» (Schild Israels) wurde im Zuge der Coronabekämpfung ins Leben gerufen.

Das israelische Volk ist gewohntermaßen ohne Nachdruck in diesen Lockdown gegangen. Es gab viele Verstöße, die Straßen waren etwa weniger leer wie beim letzten Mal. Menschen sonnten sich am Strand und trafen verbotenerweise durchaus Verwandte. Aber dennoch waren die Maßnahmen so radikal, dass sie Einschränkungen erzwangen. Dazu kam eine Informationskampagne in Hebräisch und Arabisch, in Fernsehspots und auf Plakatwänden mit wissenschaftlichen Infos etwa zur Effektivität von Masken. Damit wurde frühere Versäumnisse nachgeholt, als die Politiker ihre Argumente zu wenig auf die Wissenschaft gestützt hatten.

Gemeinden in roten Zonen behielten auch nach dem offiziellen Ende des Lockdowns diesen lokal bei. Das garantierte, dass Hotspots nicht zu schnell wieder geöffnet wurden und das Virus dort noch länger unter Kontrolle blieb. Ursprünglich für drei Wochen geplant, wurde der Lockdown dann noch um eine Woche für alle verlängert. Rote Zonen waren dann also mehr als ein Monat im totalen Lockdown. Lokale Geschäftsschließungen natürlich auch länger inklusive.

Das Ergebnis

Israels Lockdown #2 war zahlenmäßig betreffend die Neuinfektionen ziemlich effektiv. Es gelang dem Land binnes einen Monats die Zahlen Mitte Oktober auf dem Niveau von Juli/ August zu stabilisieren und sie dann bis Ende Oktober noch einmal um rund 50 Prozent auf meist 500 bis maximal 900 Fällen pro Tag zu reduzieren.

Israels tägliche Infektionszahlen; Quelle: https://www.worldometers.info/coronavirus/country/israel/

Wie auch in Österreich explodierte leider auch die Zahl der Todesfälle durch die zweite Welle von 322 (Stand Anfang Juli) auf 2700 (Stand 11.11.2020), wie folgende Grafik zeigt:

Israels Coronatotesfälle; Quelle: https://www.worldometers.info/coronavirus/country/israel/

Es scheint sich also in Israel, wie vielen anderen Ländern, die Erfahrung Österreichs aus der spanischen Grippe 1920 zu wiederholen. Unser Land wurde auch damals mit einer viel tödlicheren zweiten Welle konfrontiert.

Die Gefahr ist nun aber natürlich groß, dass Israel sich nach zu rascher Lockerung im Jänner oder Februar im nächsten Lockdown wiederfindet. Die Öffnung wird in Israel deshalb von der Regierung äußerst zögerlich angegangen. Die Strafen für Verstöße bleiben hoch und die Coronabehörden sind vorsichter als zuvor!

Etwaige Vorbehalte

Der drastische Fall der Zahlen von rund 9000 auf um die 750 Fälle pro Tag ist dabei für viele Experten durchaus erstaunlich. Vor allem da eher kooperationsunwillige Minderheiten (Arabern und ultraorthodoxen Juden) für viele Fälle verantwortlich waren. Manche Experten äußern daher durchaus Zweifel, ob die Daten das wahre Bild der Lage im Land widerspiegeln. Ronit Calderon-Margalit von der Hebrew University vermutet etwa, dass Ultrorthodoxe sich nun weniger testen lassen als zuvor und über ein eigens medizinisches Hilfswerk ihre Kranken abseits der Öffentlichkeit versorgen, um nicht weiter als Problemgruppe darzustehen. Doch das sind nur Gerüchte, die der Vollständigkeit halber genannt werden sollten. Das sich viele Ultraorthodoxe verbotenerweise in Synagogen trafen, hatte nämlich massiv Unmut unter den übrigen Israelis ausgelöst.

Der wirtschaftliche Preis von Lockdown #2

Israels Unternehmen wurden hart getroffen, weshalb seit 1 Monat nun massiv protestiert wird. Seit dem 18. September, als Premierminister Netanyahu die neue Schließung der Wirtschaft anordnete, haben nach offiziellen Zahlen 967.000 Menschen ihren Job verloren. Was rund einem Viertel ALLER Erwerbstätigen im Land entspricht. Das Haushaltsdefizit des Staates Israel explodierte auf vorraussichtlich 25,7 Milliarden Euro (von nur 480 Millionen Euro im Gesamtjahr 2019 – Israel hatte also wie Österreich letztes Jahr einen ausgeglichenen Haushalt). Das entspricht rund 10 Prozent des BIP, was circa ein Drittel über Österreichs erwartetem Budgetdefizit (noch Berücksichtigung von Lockdown II) liegt.

Die breit verteilten gesellschaftlichen Kosten riefen massiven Widerstand nach dem Lockdown hervor: Massen protestierten etwa gegen Premier Netanyahu und die übrigen Beschränkungen am 25. Oktober – eine Woche nach Aufhebung der schärfsten Regeln! Netanyahu hatte zuvor nämlich höhere Strafen für Verstöße gegen die Corona-Regeln angekündigt, um die Regelbefolgung auch nach dem zweiten Lockdown auf einem hohen Niveau zu halten.

Um die Tourismusindustrie zumindest etwas zu entlasten, plant Israel nun Tourismuszonen, wo die Menschen auch während der Pandemie sicher ihren Urlaub verbringen können. Einreise ist nur mit gültigem und maximal 72h alten Corona-Test, wozu dann noch ein zusätzlicher Schnelltest an der Zufahrtsstraße vor Ort gemacht werden soll.

Eine Lösung für diverse Wintersportorte wäre wohl auch hierzulande das israelische Konzept der Tourismuszonen mit doppeltem Coronatest. Damit könnten in Verbindung mit einer Massenstestung der lokalen Bevölkerung und Tourismusbelegschaft ala Slowakei wohl geographische „Blasen“ geschaffen werden, wo ein halbwegs sicherer Urlaub in Pandemiezeiten garantiert werden könnte.

Fazit

Israels Lockdown war also ziemlich effektiv – wenn wir die Zahlen betrachten. Binnen eines Monats gelang die Reduktion der Fallzahlen von 9000 auf 500 bis 900 pro Tag. Das israelische Volk ist dabei bekanntermaßen widerspenstig, dem Leben zugewandt und wenig erpicht sich schicksalsergeben von irgendjemandem zuhause einsperren zu lassen. Deshalb hat die Regierung – unter dem Druck des Gesundheitssystems – zu schärfsten Maßnahmen gegriffen. Diese hatten rasche Auswirkungen! Was auch viele Verstöße nicht ändern konnte! Ein totaler Lockdown ist also auch ein eher kurzer! Eine Lehre die wir in Österreich aus Israel ziehen könnten. Eine Lehre die man übrigens auch aus der Strategie Chinas ziehen könnte. Und die Slowakei demonstriert, dass man ein ganzes Volk in 2 Wochen durchtesten kann. Rund 57.500 unentdeckte Fälle wurden alleine hier in der ersten Runde aufgedeckt und die Ausbreitung des Virus damit massiv gestoppt.

Betrachtet man die enormen wirtschaftlichen Kosten Israels wird einem klar, wie sehr die europäischen Regierungen im Herbst und Spätsommer fahrlässig mit der Gefahr einer explodierenden Infektionsrate umgegangen sind. Was sie nun zwingt genau das zu tun, was sie auf jeden Fall verhindern wollten. In Österreich trifft eine etwaige Verlängerung des Lockdowns bis in die Weihnachtsferien die Tourismusindustrie ins Mark! Dazu kommt noch ein Einbruch im Weihnachtsgeschäft.

Man hätte hierzulande also wohl schon ab 1. November strengste Einschränkungen treffen sollen – von Schulschließungen bis zum Ende der Gottesdienste bis hin zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit auch untertags! Gleichzeitig hätte man in Österreich dann a la Slowakei Massentests der zuhause kasernierten Bevölkerung vorbereiten können, um Infizierte aus dem Arbeitskreisläufen und Schulen noch zusätzlich herauszuhalten. Eine Zwei-Hammer Strategie also, die uns wieder ein paar Monate gebracht hätte. Die politischen Diskussionen um Schulschließungen und Gottesdienste fallen wohl nicht unter effektive Virusprävention! Österreich kann also von Israel lernen: Besser ein Lockdown mit Schrecken, als Einschränkungen ohne Ende!