Immer wenn über Politik diskutiert wird, stehen die politischen Parteien im Zentrum der Debatte. Sie haben ihre treuen Anhänger, lautstarke Kritiker und eingefleischte Gegner. Viele aufgebrachte Bürger wünschen Parteien auch immer wieder gerne zum Teufel. Vor den Wahlen suchen dann viele dieser Wähler unter den Parteien notgedrungen ihr persönliches „geringste Übel“ aus. Die Loyalität und längere Treue der Wählerschaft einer Partei – die viel beschworerne Stammwählerschaft – sinkt über die Jahre nämlich immer weiter ab, weil die Menschen kritischer und wohl auch die Zeiten schnelllebiger werden. In diesem Artikel wollen wir deshalb nun die Frage aufwerfen: Warum braucht die Demokratie eigentlich Parteien? Oder reichen eventuell die in Österreich gerne beschworenen ad hoc gegründeten chaotischeren „Bürgerbewegungen“ als Alternative? Welchen Wert haben Parteien für unsere repräsentative Demokratie?
In Österreich gibt es aktuell nicht weniger als 1.130 registrierte politische Parteien. Eine ganze Menge also und das ist wohl im Sinne einer freiheitlich- demokratischen Grundordnung ganz gut so. Was daran liegt, dass es relativ einfach ist heutzutage eine Partei zu gründen. In National- und Bundesrat, den wichtigsten demokratischen Gremien unseres Landes, sitzen freilich aber nur 5 große Parteien: ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und NEOS. Anhand diesen und historischen Beispielen, wollen wir nun versuchen zu erkären, welchen Wert Parteien in einer Demokratie haben. Und warum ein Verbot einer Partei einer sehr sorgfältigen Prüfung unterzogen werden sollte.
Antike Vorläufer
Der griechische antike Kreislauf der Staatsformen nach Polybios lautet wie folgt: Monarchie -> Tyrannis -> Aristokratie -> Oligarchie -> Demokratie -> Ochlokratie. Es beginnt also alles mit der Alleinherrschaft eines Herrschers in der Monarchie. Die dann irgendwann in eine Tyrannis als entartete Form abrutscht. Woraufhin die Aristokraten irgendwann rebellieren und sich selbst als Gruppe der Mächtigen an die Spitze des Staates setzen. Womit Adelsfraktionen und Parteien relevant werden. Die Herrschaft der wenigen, mächtigen Aristokraten (Oligarchie), wird dann irgendwann von den breiten Volksmassen als unerträglich empfunden, so dass diese eine Demokratie erzwingen. Welche dann statt der Adelsparteien die Parteien des Volkes an die Macht bringt, die nun stellvertretend für ihre Wähler um Einfluss ringen. Bis nach Polybios auch die Demokratie nach ein paar Generationen an sich selbst scheitert und in die Pöbelherrschaft abrutscht, bis letztere ein fähiger Führer wieder auflöst und als Monarch den Kreislauf der Staatsformen von Neuem starten lässt.
Seit der Erfindung der Demokratie im Alten Griechenland organisierten sich also Fraktionen mit unterschiedlicher Stabilität, um das eigene Gemeinwesen zu organisieren und Politik zu machen. Dabei ging es um alle relevanten Fragen die in der attischen Demokratie im Forum der Volksversammlung (Ekklesia) debattiert wurden. Die Römische Republik kannte dann erste „Parteien“ mit den Optimaten (Adelspartei) und den Popularen (Partei der Volksversammlung). Wenngleich das keine Parteien im heutigen Sinne waren (erste moderne Parteien werden im England des 16. Jhdts. verortet), sondern eher Sammelbezeichnungen für Politiker mit der selben politischen Methodik, wurden doch schon im Alten Rom hier erste Charakteristika moderner Parteien deutlich. Anhand derer wir einen Blick auf gute Argumente für Parteien heute werfen können:
#1 Die Klientelgruppe
Die Parteien organisieren sich als Vertreter von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Konflikte zwischen diesen können in einer Volksversammlung dann gesitteter und sinnvoller ausgehandelt werden, als in Hinterzimmern, oder etwa auf der Straße in Unruhen oder in Revolutionen.
Im Alten Rom vertraten die Optimaten die Adeligen und besitzenden Klassen, während die Popularen auf die ärmeren Massen und die mittleren Schichten der Bevölkerung setzten. Auch die Politiker der Popularen waren in der Regel Adelige wie ihre optimatischen Gegner, aber sie appellierten mit der Stimme und dem Druck der Straße, um politische Ämter zu erreichen. Ihr Rückhalt lag im Volk und nicht in der adeligen Elite. Weshalb sie dem Volk auch politische Ergebnisse liefern mussten („Brot & Spiele“) und dessen Anliegen gegenüber den Eliten vertraten. Die Popularen bildeten damit eine einflussreiche Minderheitsfraktion gegen die verbandelte adelige regierende Elite Roms, die deren Macht erfolgreich in Frage stellte. Julius Caesar war der wohl der berühmteste Populare. Ziel des Systems im Alten Rom war die Stabilität und ein Ausgleich zwischen Arm & Reich. Die Optimaten brauchten also durchaus die ungeliebten Popularen und deren Ohr am Volk.
Moderne Parteien in einer westlichen Demokratie suchen sich ebenfalls ihre Klientelgruppe. In Österreich kennen wir dabei den Begriff der drei politischen Lager. Das christlich- soziale Lager (heute ÖVP), wird dabei vom sozialdemokratischen Lager (SPÖ) und dem „Dritten Lager“ (FPÖ) unterschieden. Ersteres Lager vertrat dabei die Bauern, die Landbevölkerung und das katholische Bürgertum. Das Zweitere Lager der Sozialdemokratie baute auf die Arbeiterbewegung und die unteren Schichten von Kleinbürgern und Bediensteten. Und das „Dritte Lager“ setzte traditionell auf das patriotische, national gesinnte Bürgertum und die liberalen Eliten. Die Anliegen dieser Gruppen werden dann politisch so vertreten, dass einst ein Bauer, ein Arbeiter und ein Anwalt genau wussten, welche Partei im Reichstag der Monarchie, oder im Parlament der 1. und 2. Republik ihre Anliegen vertreten würde.
#2 Die Gesinnungsgemeinschaft
Mit der langsamen Ausweitung des Wahlrechtes ab der erstmaligen Gewährung 1848 bildeten sich schon bald unterschiedliche ideologische Gruppen aus, um den inhomogenen Wählergruppe ein unterschiedliches politisches Angebot zu machen. Im ersten frei gewählten deutschsprachigen Parlament – der Frankfurter Nationalversammlung (ab 1848) – wurde dies deutlich. Die insgesamt 812 Sitze Sitze (1 pro 50.000 Wähler) wurden frei von allen erwachsenen Männern in allen deutschsprachigen Ländern des Deutschen Bundes (also auch in Österreich, Böhmen, Mähren et cetera) gewählt. Nach der Wahl formierten sich die Abgeordneten dann in den folgenden Faktionen:
Die Fraktionen (erste Parteien) organisierten sich nach ihrer politischer Einstellung (von der extremen Linken bis zur Rechten). Die extreme Linken strebten nach dem Ende der Monarchie und waren gewaltbereit. Die extreme Rechte war dagegen für den Status quo, die uneingeschränkte Fürstenmacht, gegen parlamentarische Kontrolle und gegen einen vereinten deutschen Nationalstaat. Das Rechts-Links Schema stammte übrigens aus der französischen Revolution, wo es ab 1789 in der Nationalversammlung um dieselben Fragen ging. Benannt waren die Fraktionen nach ihrem Frankfurter Treffpunkt (meist ein Gasthaus): „Donnersberg“ (Extreme Linke), „Deutscher Hof“ (gemäßigte Linke), „Württemberger Hof“ (Linkes Zentrum), „Casino“ (Rechtes Zentrum) und „Cafe Milani“ (Rechte). Etwa ein Drittel aller Abgeordnenten waren Fraktionslose.
Linke wie Rechte vertraten also unterschiedliche Ansichten. Die 130 deutschösterreichischen Abgeordneten in Frankfurt 1848 waren in allem Fraktionen vertreten. Und bekamen erstmalig eine Lektion der Dynamik einer modernen Massendemokratie. Wie in modernen Parlamenten veränderte sich die Stärke der Fraktionen wenn Abgeordnete diese wechselten. Der spätere österreichische Innenminister unter Kaiser Franz Joseph I., Anton Ritter von Schmerling (8.Wahlkreis Österreichs/ Tulln in Niederösterreich) war zunächst Mitglied der gemäßigt-liberalen „Casino“-Fraktion und spaltete sich dann mit anderen konservativen Casino-Mitgliedern zur konservativeren „Pariser Hof“-Fraktion ab. Ein politischer Opportunist des 19. Jhdts. also. Ein berühmter Fraktionskollege im „Casino“ war übrigens Jacob Grimm (einer der Gebrüder Grimm).
#3 Die Partei als Programmgemeinschaft
Seit der Beschlussfassung der Frankfurter Nationalversammlung und der gescheiterten Reichsgründung 1848/49, sowie seit der Entstehung der österreichischen Koalitionsregierungen von unterschiedlichen Parteien im altöstereichischen Reichstag, erkannten die Politiker unterschiedlichster Coleurs, dass sie sich eine gemeinsame Überzeugung in Form eines Programms geben mussten. Um dem Wähler ein politisch stabiles Angebot machen zu können und die eigenen Parlamentarier bei der Stange zu halten. Die Frankfurter Nationalversammlung schuf als erstmaliger Zusammenschluss von deutschsprachigen gewählten Politikern, die über die Verfassung, den Staatsaufbau und die Ausdehnung eines künftigen deutschen Staates debattierten und entscheiden mussten, den Bedarf nach moderner Politik. Fraglich war etwa ob nichtdeutschsprachige Teile des Habsburgerreiches (Ungarn, Kroatien, Galizien, etc.) auch ein Teil einer großdeutschen Lösung sein sollten.
Erste breitenwirksamere deutschsprachige politische Parteiprogramme entstanden dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Parteiprogramme sollten die Anhänger motivieren und wankelmütige Parlamentarier an der Stange halten. Das erste wichtige österreichische Grundsatzpapier war dabei das Linzer Programm 1882. Dieses forderte eine staatsrechtliche Entflechtung der Völker Cisleithaniens (neben vielen anderen Punkten) und wurde von vielen prominenten Politikern wie dem deutschnationalen Georg von Schönerer und dem späteren Gründer der Sozialdemokratie Viktor Adler unterzeichnet und forciert. Nachdem Schönerers Antisemitismus Adler und andere vertrieben hatte, begründete Adler mit dem Hainfelder Programm 1888 die österreichische Sozialdemokratie. Während das dritte Lager weiter mit dem Linzer Programm arbeitete – allerdings ab 1885 ergänzt um antisemitische Regelungen, was viele moderatere deutschnationale, liberale und sozialistische Politiker abschreckte und das Parteienspektrum zersplitterte.
Die Wichtigkeit der Existenz eines Programms, zeigen negative Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Kurzlebige Parteien wie das Team Stronach, die Liste Pilz oder das BZÖ, wurden von politischen Opportunisten angezogen, die sich um bekannte Führungspersönlichkeiten gruppierten. Keine dieser Parteien hatte ein überzeugendes politisches überlebenfähiges Programm, abseits des Nimbusses ihres Gründers. Und allesamt scheiterten sie nach einer oder zwei Legislaturperiode nach dem Abgang des Gründers.
#4 Die Arbeitsteilung unter den Delegierten des Volkes
Mit der Komplexität von Gesellschaft und Staatswesen wächst auch die Herausforderung an den einzelnen Bürger und Politiker das System zu verstehen. Parteien helfen dabei die Übersicht zu bewahren, das System zu verstehen und die Institutionen mit Leben zu durchsetzen. Sie stellen die freiwilligen Wahlhelfer bei den vielen Wahlgängen, sie organisieren Informationsveranstaltungen und werben für ihre Anliegen. Sie tun also etwas, dass dem normalen erwerbtstätigen Bürgertum oft zeitlich verwehrt ist: Sie engangieren sich intensiv und bilden sich in den relevanten politischen Fragen weiter. Um dann dem Wähler ihre politischen Lösungen und Vorschläge unterbreiten zu können.
Arbeitsteilung ist dabei das Stichwort! Ein Abgeordneter kann in der Regel nicht Justizexperte, wie auch gleichzeitg Budgetexperte und Koryphäe in der Außenpolitik sein. Weil die Komplexität in unseren modernen Staatswesen immer mehr zunimmt. Deshalb gibt es im österreichischen Parlament unterschiedliche Ausschüsse, in denen die Parteien ihre jeweiligen Experten platzieren. Die sich dann auf genau diesem Gebiet besonders engagieren und weiterbilden. Das war schon in der Frankfurter Nationalversammlung 1848 so. Wo beispielsweise der „Ausschuß zur Begutachtung der österreichisch-slavischen Frage“ seit 5. Juni 1848 tagte. Der sich mit der Frage beschäftigte, wie man mit den slawischsprachigen Teilen Österreichs umgehen sollte. Im Falle einer großdeutschen Lösung. Die deutschen Parlamentarier waren nämlich vorsichtig bedacht Probleme aufzuzeigen, bevor sie sich den habsburgischen Nationalitätenkonflikt in ihr vereinigtes Großdeutschland holen wollten. Zurecht, wie die folgende Geschichte dann zeigen sollte.
Wilde Abgeordnete ohne Parteiapparat, wie gegenwärtig Philippa Strache, tun sich alleine schwer in der parlamentarischen Demokratie irgendeinen produktiven Beitrag zu leisten. „Bürgerbewegungen“ wie der Liste Pilz und dem Team Stronach ging es ähnlich. Das Fehlen der Parteistrukturen begünstigte interne Konflikte, Zwist und eine wenig effektive und nachhaltige politische Arbeit.
Fazit
Die Demokratie braucht für ihren Erfolg eine gewisse Stabilität und Berechenbarkeit. Beide Eigenschaften gewähren den Wählern mit Abstrichen die politischen Parteien, denn diese garantieren einer Klientel und einer politischen Strömung ihre demokratische Vertretung. Sie helfen bei der Organisation von Wahlen und sind Ansprechpartner der Bürger. Und verhindern damit, dass die Anhänger dieser Gruppen sich nivelliert fühlen und dann andere Möglichkeiten suchen, ihre Anliegen durchzusetzen. Sie sammeln Geld für ihre Anliegen und verbreiten mithilfe ihrer Mitglieder ihre politischen Ideen. Für eine moderne Demokratie sind Parteien daher unverzichtbar.
In der Demokratie ist es dabei durchaus wichtig, dass beispielsweise gegenwärtige Kritiker der Coronamaßnahmen in der Opposition Parteien vorfinden, die ihre Kritik aufgreifen und artikulieren. Die Alternative dazu – eine starke außerparlamentarische Opposition – wäre für eine Demokratie ab einer gewissen Gruppengröße nämlich nicht wünschenswert und potentiell destabilisierend. Einfach weil die Demokratie an Legitimität bei jenen dauerhaft Unverstandenen einbüßen würde, wenn sich diese Leute nicht vertreten fühlen. Immer vorausgesetzt natürlich es handelt sich um eine relevante Größe von Menschen, die sich hinter diesen politischen Anliegen versammeln und sie vertreten.
Um einer parteipolitischen Zersplitterung a la Italien vorzubeugen existieren prozentuelle Regeln für den Mindesteinzug einer Partei bei einer Wahl (4-Prozent-Hürde im Nationalrat z.B.). Fehlten Letztere wäre es durchaus eine Motivation etwa für einzelne Regionen Österreichs oder marginale politische Splittergruppen mit nur wenigen Stimmen (wie die Kommunisten) eigene Abgeordnete in den Nationalrat zu entsenden. Mit dem Ziel nur ihre spezifischen Anliegen durchzusetzen, ohne ein größeres Ganzes im Blick zu haben. Was am Ende ein Parlament voller Klein- und Kleinstparteien ergeben würde. Solch ein Verhalten erschwert dann eine vernünftige Regierbarkeit des Staates massiv und fördert politischen Kuhhandel, geheime Absprachen und wohl auch Korruption. Israel ist heute so ein Fall, wo Wahlen idR ideologisch klar ausgehen. Aber dann sich die vielen Kleinparteien einfach nicht auf eine Regierung einigen können.
Links & Quellen
https://www.parlament.gv.at/PERK/PK/PP/index.shtml
https://geschichtsheftsmz.files.wordpress.com/2013/06/paulskirche2.jpg
https://www.bpb.de/izpb/9879/vorparlament-und-paulskirche
https://www.bundesarchiv.de/digitalisate/_foxpublic/files/DB51_Ausschuesse_Kommissionen.pdf
https://www.derstandard.at/story/2000047606019/auf-dem-besten-weg-in-die-poebelherrschaft
https://time.com/5673239/left-right-politics-origins/
http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/HW_griechiche_und_moderne_Demokratie.pdf
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