Mit dem Überfall von Putins Russland auf die Ukraine ist Europa und der Westen in eine neue geopolitische Zeitrechnung eingetreten. Idealismus, Pazifismus und die Leugnung realpolitischer Wirklichkeit haben mit der Invasion einen harten Schlag erhalten und diese Ideen vorerst wieder in den Dachboden der Geschichte verräumt. Nachdem mit Putins Russland erstmals seit 1939 wieder eine revisionistische Macht mittels Krieg ein anderes europäisches Land (die Ukraine) annektieren möchte, ist die westliche Realpolitik aufgerufen, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Im deutschen Bundestag wurde die geopolitische Herausforderung von Putin vom deutschen Bundeskanzler Scholz folgendermaßen aufgenommen :
Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Und das bedeutet, die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf. Ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts. Oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (27.08.2022); Quelle: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/nordmagazin/Bundeskanzler-Scholz-Zeitenwende-in-europaeischer-Geschichte,nordmagazin93692.html
In der Welt gibt es aber nicht nur Putins Russland, sondern zahlreiche weitere autokratische Mächte, die expansive Gelüste hegen. Diese sind vor allem im Windschatten des außenpolitisch schwachen Duos Obama-Merkel (siehe https://www.dermaerz.at/obama-und-merkel-das-scheitern-der-multilateralisten/) zu neuem Selbstbewusstsein gelangt und sind ihrerseits dabei aus alten eingefrorenen Konflikten wieder „heiße“ Kriege zu machen! Sei das nun Xi Jingpings kommunistisches China, das aggressiv seine Grenzen in alle Himmelsrichtungen ausdehnen möchte, oder die Türkei, die in den letzten Jahren in vielen Anrainerstaaten militärisch aktiv geworden ist. Gefochten wird aber auch mit radikaler religiöser Ideologie, wie es etwa die Kataris im Westen demonstrieren oder die Iraner mit ihren schiitischen Terrorgruppen und Milizen.
In diesem Artikel wollen wir ausgehend von dem Ukraine-Krieg aufzeigen, welcher weiteren geopolitischen Herausforderungen der Westen schnellstens annehmen sollte, bevor auch dort neue Kriege, Zwiste und weitere Instabilität aufbrechen.
Lektion Nr. 1: Autokraten sind böse und starten Kriege, wenn man sie lässt
Eine alte Gewissheit aus dem vergangenen Jahrhundert gilt auch heute: Autokratische Herrscher versuchen Interessen mit Waffengewalt durchzusetzen. Putins Liste an Kriegen wird immer länger: Georgien (2008), Krim-Annexion (2014), Ostukraine (2014-), Syrien (2015-) und natürlich nun wieder die Ukraine (2022-). Erdogan kämpft seinerseits mit türkischen Truppen in der Osttürkei und im Irak gegen die Kurden und hat Teile des kurdischen Iraks, wie auch Landstriche in Syrien, besetzt. Die Türkei war zudem in den Berg-Karabach-Krieg (2020) gegen Armenien involviert. Engagiert in diversen Kriegen sind auch die Vereinigten Arabischen Emirate: In Syrien finanzieren sie Teile der militärischen Opposition (2011-), ihre Söldner kämpfen im Jemen (2015-) und sie unterstützten im Bürgerkriegsland Libyen General Chalifa Haftar. Angeblich mehr als 100.000 Mann stehen Saudi Arabien für ihre seit 2015 andauernden Interventionen im Jemen zur Verfügung, was ihnen aber wenig geholfen hat, denn die gegnerischen Huthis-Rebellen sind 2022 dabei den Krieg zu gewinnen.
Andere Kriege sind am geopolitischen Horizont: Xi Jingping hat die Eroberung Taiwans noch in den 2020er-Jahren angekündigt, jener Insel für welche die USA eine Beistandsgarantie abgegeben haben. Gleichzeitig befestigen die Chinesen unilateral vietnamesische und philippinische Inseln im südchinesischen Meer und erklären sie zum Teil Chinas. Abgesagt wurde die saudische Annexion Katars nach einem Veto von US-Präsident Trump.
Die Kriege in der Ukraine, aber auch in Afghanistan und Irak demonstrieren vor allem eines: Konventionell kann man Kriege gewinnen, schwieriger aber wird es, ein feindlich gesinntes Land zu halten. Die Lieferung von Waffen und die Unterstützung von Verbündeten vor Ort scheinen im 21. Jahrhundert dagegen weit besser zu funktionieren. Zum Worst Case kam es in Afghanistan, als die korrupte afghanische Regierung sich zu sehr auf die USA verließ und das afghanische Volk keinen Anteil an seinem Schicksal nahm, was zur Folge hatte, dass die Taliban das Land quasi kampflos überrennen konnten, sobald die USA den Abzug erklärt hatten.
Kalter Krieg an der Ostgrenze
Die russische Armee hat sich in der Ukraine blamiert, bzw. ist ihrem Ruf nicht gerecht geworden, dennoch kann der Westen nicht militärisch eingreifen ohne eine potentielle nukleare Eskalation herbeizuführen. Konventionell dürfte die NATO wohl leicht gegen dieses Russland gewinnen, inwieweit ein in die Enge getriebenes Moskau dann mit Nuklearwaffeneinsatz droht oder taktische Nuklearwaffen einsetzt, kann aber niemand vorhersagen. Deshalb wird der Konflikt an der Ostgrenze der NATO nun wohl bald eingefroren. Europa rüstet auf – allen voran Deutschland – und macht sich bereit entlang eines neuen eisernen Vorhangs Russland adequat militärisch abzuschrecken. Dazu werden Truppen an den Ostgrenzen massiert sowie auch Wehrbudgets adäquat angepasst.
„Heiß“ kämpfen müssen da nur Ukrainer und Russen, weshalb sich die Ukraine trotz unzähliger Waffenlieferungen und Hilfsgelder wohl zurecht gerade als letzten Freiheitskämpfer der Demokratie sieht. Beerdigen muss der Westen die liberale Illusion, dass westliche Werte gegen die (russische) Realpolitik ankommen, sobald es hart auf hart kommt. Die Ukraine kann nun ihr westliches Geschenkpaket nicht mehr auspacken: Demokratisierung plus EU-Assoziation und NATO-Mitgliedschaft, auch weil niemand einschätzen konnte, wie weit der alternde Putin zu gehen bereit ist.
Die russischen Eliten brauchen nämlich letztlich die Ukraine und Weissrussland, um nicht in der geopolitischen Zweitrangigkeit zu verschwinden und sind nun offenbar bereit, dafür zu kämpfen. Der Amerikaner Zbigniew Brzezinski analysierte schon 1997:
Allein schon die Existenz einer unabhängigen Ukraine hilft, Russland zu verändern. Ohne die Ukraine hört Russland auf, ein eurasisches Imperium zu sein. Es kann zwar immer noch imperialen Status beanspruchen, würde dann aber in Konflikte mit den zentralasiatischen Staaten verwickelt. Auch China würde sich erneuter russischer Dominanz in Zentralasien entgegenstellen. Wenn Russland aber die Kontrolle über die Ukraine zurückgewänne, wäre es wieder eine Imperialmacht.
Zbigniew Brzezinski: https://www.deutschlandfunk.de/zbigniew-brzezinski-rueckblick-in-die-konflikte-der-zukunft-100.html
Lektion Nr. 2 : Die Großmachtpolitik ist zurück
Im „SPIEGEL“ analysierte der Experte Masala anlässlich des Ukraine-Krieges die neue Lage:
Ich glaube, dass wir in eine Phase offener, rücksichtsloser Macht- und Interessenspolitik seitens der Großmächte eintreten. Und das Europa die Bildung von Gegenmacht viel stärker in den Blick nehmen muss als bisher. … Wir müssen uns wieder mehr einlassen auf das, was man früher Realpolitik genannt hat. Mehr Abschreckung also. Mit der Androhung von Militär erreicht man manchmal mehr als mit dem Einsatz von Militär.
Carlo Marsala (26.02.2022): S. 12
Es werden auf der Welt also künftig wieder Truppen verschoben, um Aggressoren abzuschrecken. Die NATO hat ihre Präsenz an ihrer Ostgrenze vervielfacht und neutrale Russlandanrainerstaaten wie Finnland rüsten auf. Schließlich kann nur massive militärische Abschreckung Russland vor weiteren Abenteuern bewahren. Dasselbe gilt übrigens auch China, den Iran und die Türkei, Länder, die sich ebenfalls seit Jahren daran versuchen sich in fremdes Hoheitsgebiet militärisch einzumischen.
Blickt man in die Geschichte war es immer eine Leistung Europas im Angesicht äußerer wie innerer Feinde militärische Koalitionen zu schmieden. Der Ansturm des Islam wurde bei der Schlacht von Tours & Poitiers (732 n.Chr.) von multinationalen Truppen zurückgeschlagen. Das Wort „Europäer“ stammt etwa von einer Beschreibung dieser Schlacht in der mozarabischen Chronik:
Als Europäer („Europeenses“) beschreibt er das auf der Seite Martells kämpfende Heer, welches eine „[…] kontinentale Gemeinschaft der Völker nördlich von Pyrenäen und Alpen[…]“ darstellt. Diese Europäer, die sich zusammengeschlossen haben um gegen die arabische Bedrohung zu kämpfen und auch gewannen sind … eine temporäre, vom Krieg bestimmte Schicksalsgemeinschaft.
https://www.grin.com/document/174398
Ähnliche europäische Koalitionen gegen islamische Angriffe gewannen die Schlachten bei Lepanto (1571) und die Belagerung von Wien (1683). Als in China die Boxer wahllos Europäer und Christen abschlachteten, besiegten die Chinesen die westlichen „Vereinigten acht Staaten“ . Ebenso vereinigten sich die Europäer gegen Napoleons Frankreich und siegten in der Völkerschlacht bei Leipzig (1813).
Lektion Nr. 3 : Das Ende der Neutralen?
Mit diesen geopolitischen Entwicklungen und den Spannungen in Europa, aber auch im Nahen Osten und gegenüber China droht zunehmend realpolitisch ein Ende der „Blockfreiheit“ der neutralen Länder. Die Schweiz und auch Österreich taten sich 2022 schwer, den russischen Angriffskrieg nicht zu verurteilen und zu sanktionieren, wenngleich in beiden Ländern Stimmen zu einer neutralen zurückhaltenden Position mahnten. Auch die von Russland direkt bedrohten skandinavischen Länder Schweden und Finnland überdenken nun einen NATO-Beitritt.
In Österreich hat das Geschehen in der Ukraine eine Debatte um die Neutralität ausgelöst. Vor allem nachdem Bundeskanzler Karl Nehammer – historisch korrekt – angemerkt hatte, dass die Neutraliät Österreich als Bedingung für den sowjetischen Abzug aufgezwungen wurde. In einem Land, das sich nun seit 1955 bequem in der eigenen Nichteinmischung eingerichtet hat, sorgte diese Debatte für Unruhen. Dabei ist die Neutralität mit dem EU-Beitritt und der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik längst perdu (siehe https://www.dermaerz.at/ist-die-neutralitaet-in-oesterreich-noch-zeitgemaess/). Außerdem gilt für jedes westliche Land:
Wir sind eine liberale Demokratie, gehören zum globalen Westen. Wir müssen die immerwährende Selbsttäuschung, dass wir ein Sonderfall sind, endlich sein lassen.
Veit V. Dengler (05.03.2022): https://www.derstandard.at/story/2000133853670/oesterreichs-nato-beitritt-ist-faellig
Der Westen muss seine Werte und seine politische Rolle letztlich gemeinsam gegen die Autokratien verteidigen. Auf sich alleine gestellt wird weiterhin Land für Land in die Hände von Autokraten fallen, die von gleichgesinnten Ländern wie China fleißig alimentiert werden.
Die Militärjunta im Sudan verkaufte beispielsweise für ihren Machterhalt seine Goldminen teilweise an Russland und sein Agrarland an die Vereinigten Arabischen Emirate. Diese können nun die dortigen Rohstoffe ausbeuten. China dominiert schwache Länder in seinem Orbit ganz ähnlich. In Europa ziehen die Chinesen ihr „Playbook“ beispielsweise in Griechenland durch, wo sie von einer verblendeten kommunistischen Syriza-Regierung mit Piräus gleich den wichtigsten Hafen des Landes gekauft haben. Piräus sei der „Kopf des Drachen in Europa“ – so beschreiben chinesische Analysten das Hafenprojekt.
Xi Jingping und die Rolle der Volksrepublik China
Eine interessante Rolle im Ukraine-Krieg spielt also das ebenso ziemlich revanchistische kommunistische China, dessen Staatschef bereits vor Jahren unverhohlen angekündigt hat Taiwan heim ins „kommunistische chinesische Reich“ zu holen. Die Volksrepublik China errichtet gerade Militärstützpunkte auf vietnamesischen und philippinischen Inseln im südchinesischen Meer, um mit fadenscheinigen Begründungen das chinesische Herrschaftsgebiet zu erweitern. China soll bereits vor Russlands Einmarsch in die Ukraine sehr gut im Bilde gewesen sein. So gut nämlich, dass die Chinesen laut westlichen Geheimdiensten von Moskau einen Aufschub der Invasion erbeten hatten, um die eigenen olympischen Propagandaspiele nicht von unschönen Bildern überschatten zu lassen. Nach der Invasion stehen die Chinesen nun offen an Russlands Seite und beobachten wohl äußerst genau die westlichen Reaktionen als Vorbereitung für ihren eigenen geplanten „Wiedervereinigungskrieg“ mit dem unabhängigen Taiwan.
Dies bietet nun dem Westen eine einzigartige Chance, auch China politisch und wirtschaftlich mitverantwortlich zu machen. China ist nicht nur eine permanente Bedrohung für den Weltfrieden und sperrt Millionen Menschen in Arbeitslager, sondern ist auch seit Jahrzehnten ein ungenierter Dieb von westlicher Technologie. China hat unzählige Geschäftsgeheimnisse und westliche Technologien längst mit unlauteren Mitteln an sich gebracht und damit westlichen Unternehmen massiv geschadet. Solange andere westliche Unternehmen aber gute Geschäfte im Reich der Mitte machen konnten, war die Lobby im Westen, die Chinesen im Sinne der Stabilität gewähren zu lassen, groß.
Nun aber dominiert wieder das Primat der Politik und die westlichen Großkonzerne sind nicht länger sakrosankt. Der kalte oder heiße Krieg mit China wird ohnehin eines Tages ausbrechen (die USA sind Taiwan militärisch zum Beistand verpflichtet). Während es noch um seinen weiteren Aufstieg bangen muss, besteht nun aber die gute Chance, China vorzeitig in die Schranken weisen zu können. US-Präsident Trump hat den Wirtschaftskrieg gegen China schon vor Jahren eröffnet und der nun vereinte Westen könnte gegenüber China endlich wichtige politische und wirtschaftliche Interessen durchsetzen.
Lektion Nr. 4 : Taiwan & das ukrainische Exempel für Peking
Chinas Präsident Xi Jingping hat in den letzten Jahren offen verlautbaren lassen, dass er eine „Wiedervereinigung“ Chinas mit dem „abtrünnigen“ Taiwan notfalls mit Waffengewalt noch in den 2020er Jahren erreichen will. Chinas Strategen und Spitzenpolitiker blicken deshalb genau auf den aktuellen Präzedenzfall, wo Putin mit der Ukraine gerade Ähnliches versucht. Dasselbe machen die Amerikaner, deren harte Wirtschaftssanktionen auch eine Nachricht an Peking sein sollen. Den Chinesen soll verdeutlicht werden, wie hoch der wirtschaftliche wie militärische Preis eines Taiwankrieges sein könnte. Erschwerend allerdings kommt bei Taiwan eine amerikanische Beistandsverpflichtung dazu, welche die USA leicht in einen Krieg mit der Volksrepublik hineinziehen könnte. Der Taiwan Relations Act wurde 1979 vom US-Kongress erlassen und sieht Folgendes vor:
Taiwan mit Waffen defensiven Charakters zu versorgen“ und „die Fähigkeit der USA aufrechtzuerhalten, jedem Rückgriff auf Gewalt oder andere Arten von Nötigung zu widerstehen, der die Sicherheit, oder das soziale oder wirtschaftliche System, der Einwohner von Taiwan gefährden würde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Taiwan_Relations_Act
Das mag schwammig klingen, realpolitisch leitet der aktuelle US-Präsident Joe Biden eine klare Beistandsverpflichtung daraus ab. Die USA werden Taiwan also im Fall eines chinesischen Angriffs verteidigen. Die Volksrepublik testet ihrerseits die taiwanesischen Verteidigungen längst permanent: Immer mehr chinesische Flugzeuge und Schiffe dringen in die taiwanesischen Hoheitsgebiete ein. Xi Jingping warnte die Taiwanesen seinerseits, dass eine „Abspaltung“ Taiwans ein „böses Ende“ nehmen würde. Die taiwanesische Demokratie ist in ihrer Existenz ein fortwährender Stachel im kommunistischen System Xis, denn sie demonstriert jeden Tag, dass chinesische Prosperität und Demokratie auch ohne kommunistische Diktatur möglich sind!
Für den Westen und die Weltwirtschaft wäre ein amerikanisch-chinesischer Krieg unzweifelhaft desaströs, weil er wohl Weltkriegsdimensionen erreichen würde, wenn die Volksrepublik es mit der amerikanischen Marine und Luftwaffe aufnehmen müsste. Allerdings können sich auch die Chinesen eines schnellen Sieges längst nicht mehr sicher sein, wie das Vorbild der Ukraine zeigt..
Strategische Optionen für den Westen: Demokratie, Autokratie und China
Der Westen muss diese Zeitenwende nun adequat addressieren! Der chinesische Analyst Hu Wei schlussfolgert dabei aus dem Ukrainekrieg:
Der russisch-ukrainische Krieg ist der schwerste geopolitische Konflikt seit dem zweiten Weltkrieg und wird viel größere globalen Konsequenzen mit sich bringen als die Angriffe des 11. September.
https://uscnpm.org/2022/03/12/hu-wei-russia-ukraine-war-china-choice/
Die deutsche Entscheidung die europäische Wehrhaftigkeit zu steigern ist dabei ein essentieller Baustein. Die Europäer müssen selbst in der Lage sein, Russland militärisch abzuschrecken, um US-Ressourcen für die Erhaltung des strategischen Gleichgewicht in Ostasien freizuhalten. Die europäische militärische Souveränität ist dabei längst überfällig, um für Sicherheit am Kontinent selbst zu sorgen, wie auch darüber hinaus. In der Sahelzone zum Beispiel droht ein islamistischer Flächenbrand! Ohne amerikanische Transportflugzeuge könnte man heute dortige europäische Basen zur Terrorbekämpfung nicht versorgen. Es fehlt schlicht an Logistikfähigkeiten, die ebenso essentiell wie Kampffähigkeiten sind.
Wei schlussfolgert, dass der Westen in seinem inneren Zusammenhalt gestärkt aus der Krise herausgehen werde. Ein eiserner Vorhang könnte nicht nur an der NATO-Ostgrenze aufgezogen werden, sondern gleich zwischen Demokratien und Autokratien weltweit. Die Schicksalsfrage wäre dabei: Wie hältst du es mit der Demokratie? Dies würde die westliche Macht stärken und Verbündete wie neutrale Länder stärker anbinden:
Der Westen würde eine stärkere Hegemonie sowohl in den Fragen militärischer Macht und in der Frage von Werten und Institutionen besitzen, seine „Hard Power“ wie auch „Soft Power“ würden neue Höhen erreichen! China würde unter diesen Rahmenbedingungen weiter isoliert werden.
https://uscnpm.org/2022/03/12/hu-wei-russia-ukraine-war-china-choice/
Im Rahmen dieser Analyse präzisiert Wei, welche Schritte der Westen nun ergreifen müsste. Nach Russlands Niederlage sollte sich der Westen auf die Eindämmung Chinas konzentrieren. Dazu muss man die wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren. Andere Staaten würden sich dieser Politik wohl anschließen. Militärisch würden NATO wie QUAD-Allianz (USA, Japan, Australien und Indien) China militärisch einhegen. Politisch würde ein selbstbewusstes westliches System mit seinen Institutionen das kommunistische China herausfordern.
Lektion Nr. 5 : Vergessen wir nicht Erdogan und die geopolitischen Ambitionen der Türkei !
An den östlichen Grenzen der EU liegt mit der Türkei ein aggressives Nachbarland, welches nicht nur einen Teil eines EU-Landes militärisch besetzt hält (Zypern), sondern auch weitreichenende Gebietsansprüche gegen ein zweites EU-Land (Griechenland) erhebt! Im ganzen Mittelmeerraum ist die Türkei somit die wohl gefährlichste revisionistische Macht, die zudem immer noch EU-Beitrittskandidat und NATO-Mitglied ist, obwohl das Land immer weniger westliche Werte teilt und längst eine östliche Autokratie geworden ist. Die Türken haben sich in der NATO in der Vergangenheit sogar erdreistet, Beschlüsse zur Verteidigung des Baltikums zu blockieren, um dies als Verhandlungschips gegen den Westen zu nutzen.
Die Türkei hat in den letzten 5 Jahren militärisch in Armenien interveniert, in Syrien, im Irak und in Libyen. Sie hält völkerrechtswidrig Teile Syriens, Zyperns und des Irak besetzt. Teil der expansiven gefährlichen Staatsdoktrin ist die Idee des „blauen Heimatlandes„. Hier will die Türkei nach chinesischem Vorbild („Nine-dash-line„) Ansprüche auf fremdes Territorium anmelden, wie etwa auf die mediterranen Ressourcen, ganz egal ob diese im Staatsgebiet Zyperns oder Griechenlands liegen. Das „blaue“ Heimatland umfasst auch fast jede zweite griechische Insel, womit die Türkei ungeniert Anspruch auf EU-Territorium erhebt, gleichzeitig aber immer noch (!) EU-Beitrittskandidat ist und dafür auch noch EU-Gelder erhält.
Der Westen sollte hier also viel härter gegenüber der wirtschaftlich maroden Türkei auftreten und gleichzeitig seine Grenzen massiv sichern, um illegale Migration aus der Türkei als Druckmittel zu verhindern. Die NATO-Mitgliedschaft und der EU-Kandidatenstatus sind eine der letzten Gründe, warum die Türkei nicht schon längst als der Paria gilt, der das Land unter Erdogan längst geworden ist. Beide sollten daher raschest geändert werden. Fakten schaffen indem man Armenier in Berg-Karabach brutal zusammenbombt und aus ihren Häusern vertreibt ist eines westlichen Landes unwürdig. Bessere Verbündete in der Region findet der Westen längst in Israel, Jordanien und Ägypten.
Historische Lektion: „Megali Idea“ & das westliche Versagen nach dem Ersten Weltkrieg
Dass die Türkei heute überhaupt in der Lage ist diese expansive Politik auf Kosten ihrer europäischen Nachbarländer Griechenland und Zypern durchzuexerzieren, ist eine Folge des massiven westlichen Versagens in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Hätten die Entente-Mächte die verbündeten Griechen bei der Verwirklichung der Megali Idea besser unterstüzt, dann wäre die Ägäis heute ein griechischer See und der Bosporus eine griechische Meeresstraße. Niemand würde von einer türkischen EU-Mitgliedsschaft sprechen und die EU hätte sich dutzende Milliarden an Türkei-Subventionen erspart. Die „Megali Idea“ sah 1919 vor, alle mehrheitlich griechisch besiedelten Gebiete in Westkleinasien mit Griechenland zu vereinigen und so einen griechischen Nationalstaat auf beiden Seiten der Ägäisküste zu schaffen.
Entschieden wurden die Fragen zwischen der Türkei und Griechenland im griechisch-türkischen Krieg (1919-1922), welcher mit der „kleinasiatischen Katastrophe“ endete. Erstmals seit Jahrtausenden wurden sämtliche Griechen in Westkleinasien ermordert oder vertrieben. Das Griechentum in Kleinasien mit einer weit über 2.500 Jahre alten Geschichte wurde ausradiert. Politisch und militärisch ermöglicht hatte diese Katastrophe damals völlige westliche Uneinigkeit und der Unwille, in Kriege der militärischen Zwerge Griechenland und Türkei ordnend einzugreifen.
Die in der Region am stärksten präsenten Briten blieben neutral, forcierten aber die militärischen Pläne der Griechen ohne adäquat zu helfen. Premier Lloyd George spendete lediglich Pläne und warme Worte. Die machtpolitisch sich im Hintertreffen wähnenden Franzosen und Italiener rüsteten aus Trotz dagegen die Türken auf, weil sich beide größere Teile Kleinasiens für sich selbst erhofft hatten. Nachdem die griechische Armee 1922 in Anatolien von den Truppen Atatürks besiegt worden war, brannten die griechischen Dörfer und Städte Kleinasiens. Zehntausende griechische und armenische Christen wurden dabei ermordert und Millionen vertrieben. Im griechischen Smyrna, dem heutigen türkischen Touristenparadies Izmir, hängten die Türken 1922 sogar den griechischen Erzbischof mitten in der Stadt!
Lektion Nr. 6 : Der weItweite / westliche Islamismus, Katar und Saudi Arabien
Diejenigen Akteure, welche die westlichen Gesellschaften in Wirklichkeit ideologisch am stärksten unterminieren, sitzen am arabischen Golf und sind noch dazu enge Handelspartner und Verbündete des Westens. Mit ihrem Öl- und Gasreichtum haben die Golfaraber, wobei vor allem die Kataris hervorstechen, weltweit Islamismus, Islamisierung und Terrorismus gefördert und das leider weitgehend ungestraft! Anlässlich der – von Akteuren wie Saudi-Arabien mitausgelösten – Flüchtlingskrise 2015, wollten die Golfaraber selbst keine muslimisch-arabischen Flüchtlinge aufnehmen, sondern ließen mit folgendem Vorschlag aufhorchen:
Saudi-Arabien will Deutschland 200 Moscheen spenden
https://www.focus.de/politik/deutschland/arabisches-land-will-deutschland-200-moscheen-spenden-moscheebau-angebot-von-saudi-arabien-sorgt-fuer-debatten_id_4939674.html
Man wollte also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Unruhige Elemente sollten aus Nahost in den Westen abwandern und keinesfalls auf die reiche arabische Halbinsel kommen! Europa soll unter der religiösen Ägide der Saudis, die in den Moscheen dann ihren Steinzeit-Islam, den Wahhabismus, predigen lassen., weiter islamisiert werden. Dass sich die Islamisierung immer weiter ausbreitet demonstrieren nicht nur zahlreiche Terroranschläge, sondern umso mehr explodierende Anteile der muslimischen Bevölkerung in Europa (insbesondere in Österreich). Das Buch „Quatar Papers“ dokumentiert eines klar:
Katars islamistische Missionierung Europas
https://volksblatt.at/katars-islamistische-missionierung-europas/
Der Westen agiert hier seit Jahrzehnten planlos, hilflos und ineffektiv und hat nicht verstanden, dass die Religionsfreiheit massiv gegen die westliche Kultur ausgespielt wird. Jene die Pluralismus und Freiheiten abschaffen wollen und Hass exportieren, expandieren im Schatten des westlichen Pluralismus und der Religionsfreiheit. Wenn die Ukrainekrise uns nun gelehrt hat Autokraten und Kriegstreiber zu sanktionieren und unausgesprochene Wahrheiten anzusprechen, dann sollten die Exporteure des Islamismus unsere nächsten Ziele sein!
Wie man mit Saudis und Kataris machtpolitisch umgehen muss, demonstrieren Chinesen und Russen. Bei diesen Staaten ist es undenkbar, dass etwa die Golfstaaten in China missionieren dürfen, antichinesischen Terrorismus fördern und dann mit China unbeschwert handeln! Als Preis für chinesische Investitionen in Saudi-Arabien hat Kronprinz Mohammad bin Salman ganz im Gegenteil sogar die chinesische Unterdrückung der muslimischen Uiguren als „notwendigen Kampf gegen den Terrorismus“ gelobt!
Lektion Nr. 7 : Flüchtlinge und Lösegeldzahlungen für Autokraten
Jüngst hat Marokko geopolitisch von sich hören lassen und zwar indem es Spanien erpresst hat, die Annexion der Westsahara anzuerkennen. Ansonsten, so das Wüstenkönigreich unverhohlen, würden neue Flüchtlingsströme spanisches Territorium treffen. Dazu fordert man außerdem europäische Gelder für den eigenen Grenzschutz.
Muslimische Anrainerstaaten der EU lassen es sich nun schon seit geraumer Zeit etwas kosten, wenn sie die illegale Migration auf ihrem Territorium beschränken. Ursprünglich war es nur Gaddafi in Libyen, der unter dem Vorwand „italienische Entschädigung für die Kolonialzeit“ schon früh westliche Subsiden dafür kassierte! Gegen Bares sorgte der Oberst einst für Stabilität und garantierte, dass Fluchtrouten in Afrika geschlossen blieben. Mittlerweile hat Erdogans Türkei, beide kriegerischen Teilstaaten Libyens, Marokko und so manch anderer Staat begonnen hier am westlichen Grenzschutz mitzuverdienen. Wie einst die nordafrikanischen Barbareskenkorsaren handeln ihre muslimischen Nachfahren in Nordafrika nun wieder mit „menschlicher Ware“. Siehe dazu: https://www.dermaerz.at/fluechtlingskrise-3-0/
Mit dem Knüppel der (angeblich) 4 Millionen Flüchtlinge machte die Erdogan-Türkei erfolgreich Politik gegen Europas Eurokraten! Frontex ist schwach und in der Regel zahnlos, wenn es darum geht illegale Migranten über die Grenzen zurückzuschieben. Europa steht sich hier aus ideologischen Gründen selbst im Weg! Statt auf vernünftigen „Common Sense“ in der Migrationspolitik a la USA oder Australien, setzt man auf Frontex und auf Mitgliedsstaaten, die sich gegenseitig Migranten zuschieben, anstelle ihre Außengrenzen effektiver und nachhaltiger vor Illegalen zu schützen.
Die Lehre für Europa und den Westen
Die westliche Einigkeit und das Primat von westlichen Werten über die Interessen der Wirtschaft haben nun eine machtvolle Situation und Dynamik kreiert, in der der Westen kollektiv gegen Russland als Paria vorgeht. Die lange herrschende merkantilistische Ausrichtung Europas und der USA seit 1991 haben Autokraten wie Putin und Xi viel zu lange genützt, um den Westen uneinig und damit schwach zu halten! Angela Merkel war ein Paradebeispiel für diese Politik und hat damit letztlich nur Schwäche signalisiert. Erdogan bekam Milliarden für seine Flüchtlingspolitik und forderte noch mehr. Russland und China konferierten viel mit Deutschlands Bundesregierung und intervenierten gleichzeitig meist ungestraft militärisch in ihrer Nachbarschaft. Frankreichs Sarkozy ließ sich sogar seine Wahl zum Präsidenten von Katar kaufen und zahlte diese Investition mit einem undurchdachten Angriff auf Libyen zurück, woraufhin Libyen zum Flüchtlingshafen Afrikas und Europa einmal mehr erpressbar wurde.
Ab sofort sollten die USA und Europa vereint entschieden gegenüber China auftreten und endgültig ein Ende von unfairem Protektionismus, Diebstahl geistigen Eigentums und der wirtschaftlichen Versklavung von Teilen der dritten Welt einfordern. Sobald China gemeinsam mit Russland ausreichend isoliert werden kann, wird eine einheitliche westliche diplomatische Front erfolgreich maximalen Druck auf China ausüben können. Xi braucht nämlich selbst ökonomische Stabilität um an der Macht zu bleiben. Die „nukleare Option“ wären dabei gemeinsame westliche Wirtschaftssanktionen gegen China und diese Option würde Xi Jingping ordentlich Sorge bereiten. Um dies zu vermeiden würde er wohl auch seine Allianz mit Putin in Frage ziehen!
Ähnlich müsste man mit den Freunden und Förderern des Islamismus im Westen umgehen. So wie Russland mit Social-Media-Bots den Westen politisch zu destabilisieren sucht, tut dies die massive Finanzierung des Islamismus im Westen durch die Golfaraber! Wie Russland die Abhängigkeiten Europas von seinem Gas nützt, so schamlos nutzen islamistische Akteure die westliche Religionsfreiheit um Hass gegen den Westen im Westen zu erzeugen.
Fazit
Um eine erfolgreiche neue Geopolitik „post-Ukraine“ durchzusetzen, braucht es also westliche Einigkeit, Klartext und entschiedene politische wie wirtschaftliche Konsequenz! Aber keinesfalls weitere unnötige Militärintervention im Nahen Osten, wie etwa im Irak oder Afghanistan. Russlands Abnützungkrieg in der Ukraine demonstriert gerade wie man es geopolitisch NICHT machen sollte. Ähnlich die Saudis mit ihrem endlosen Jemenkrieg, welchen sie ebenso verlieren werden. Westliche militärische Fähigkeiten sollen dagegen lieber adequat abschrecken und sich nicht sinnlos kriegerisch abnützen! Der Ukrainekrieg demonstriert vielmehr, dass man als Westen allzeit bereit sein muss, die Verteidiger von Demokratie und Freiheit adequat zu unterstützen! Kriege wie in der Ukraine, im Jemen und in Afghanistan demonstrieren, dass konventionelle Kriege immer mühsamer zu gewinnen sind, wenn eine Seite für eine starke Idee kämpft.
Zudem performt man als Invasor immer dann am besten, wenn man die „Hearts and Minds“ der Leute vor Ort gewinnt. Dies gelingt schwerlich, wenn man in ihren Städten kämpft, diese zerstört und die Existenz der Zivilbevölkerung gefährdet. Russland wäre einst vielleicht ein Gutteil der russophilen Ostukraine „in den Schoß gefallen“ , mit den Zerstörungen ist das nun aber Geschichte. Westliche Soft-Power ist hier weltweit generell viel attraktiver als jeder autoritäre Staat. Der Westen darf aber nicht wie in der Vergangenheit selbst seine Werte vergessen und muss sich stets im Klaren sein, welche Staaten und Autokratien langfristig auf Seiten des Westens stehen und welche diesen im Innersten ablehnen und eigentlich am Ende von Demokratie und westlichem Einfluss basteln.
Im 21. Jahrhundert ist nicht Öl und Gas, sondern die Technologie ein essentieller Faktor ! Aktuell hemmt etwa die Verfügbarkeit von Halbleitern („Halbleiterkrise„) viele Technologieproduzenten massiv. Taiwan ist eines der Zentren dieser essentiellen Industrie, worin eine zusätzliche Motivation Chinas besteht sich diese Industrieressource zu sichern! Es bedarf hier also auch starker Anstrengungen zu westlicher technologischer Unabhängigkeit und eines Wiederaufbaus strategisch wichtiger Industrien hierzulande!
Links & Quellen
https://www.derstandard.at/story/2000133853670/oesterreichs-nato-beitritt-ist-faellig
Kathrin Bachleitner (05.03.2022): Nur die Neutralität der Ukraine führt zum Frieden. In: „Die Presse“ (05.03.2022): S. 28f.
Thomas Seibert (18.03.2022): Annäherung an China: Saudi Arabien will weg vom Dollar. In: „Die Presse“ (18.03.2022): S. 12
Özlem Topcu (26.02.2022): „Wir treten in eine Phase rücksichtsloser Großmachtpolitik ein“. In: „DER SPIEGEL“ vom 26.02.2022: S: 12
https://www.deutschlandfunk.de/zbigniew-brzezinski-rueckblick-in-die-konflikte-der-zukunft-100.html
3 thoughts on “Post-Ukraine Invasion: Neue Erkenntnisse für den Westen!”
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