Regierungsbildung: Wie Van der Bellen diesen Prozess delegitimiert!

Bundespräsident Van der Bellen bei der Beauftragung zur Regierungsbildung 22. Oktober 2024
Bundespräsident Van der Bellen bei der Beauftragung zur Regierungsbildung 22. Oktober 2024; Quelle: Peter Lechner/HBF

Nun ist es also amtlich: Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird erstmals in der Geschichte der 2. Republik den Wahlsieger einer Nationalratswahl nicht mit der Regierungsbildung beauftragen. Der Bundespräsident begründet das in einer Aussendung damit, dass niemand mit Herbert Kickl regieren wolle und er deshalb dazu genötigt sei, den Auftrag Karl Nehammer zu erteilen. Tatsächlich geht es bei der österreichischen politischen Usance einer Regierungsbildung aber genau darum traditionell nicht! Der Wahlsieger der Nationalratswahl 1999 Viktor Klima wurde etwa nach zwei Monaten (!) erfolgloser Sondierungen mit der Regierungsbildung beauftragt, um dann genau daran zu scheitern! Warum aber sollte der Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragt werden? Weil es nach österreichischer Usance dem Wahlsieger und damit seinen Wählern eben zusteht.

Der Bundespräsident weiß das natürlich und hat trotzdem anders gehandelt und rechtfertig sich und seine Entscheidung nun mit plumpen Wahlkampfsprüchen gegen Kickl. Dieser sei ja schließlich eine „Gefahr für die liberale Demokratie“ , sei ihm -wohlgemerkt von Babler oder Nehammer-mitgeteilt worden! Was man eben im Wahlkampf als Linker, wie Babler es ist, so sagt. In Wahrheit aber weiß natürlich jedermann, dass keine 29%-Partei jemals in einem System mit Verhältniswahlrecht die Demokratie bedrohen kann. Abgesehen davon wäre die FPÖ längst verboten , würde sie das wirklich wollen. Wäre Kickl wirklich eine „Gefahr für die Demokratie“ , könnte er das zudem nur gemeinsam mit der ÖVP sein, wogegen aber jede empirische Evidenz (2000-2007, bzw. 2017-2019) spricht.

Wir werden uns in diesem Beitrag nun ansehen, was all das politisch für die Demokratie und ihre Legitimität in Österreich bedeutet!

Bundespräsident Van der Bellen bei der Beauftragung zur Regierungsbildung 22. Oktober 2024 vor den Kameras

Warum politische Usancen wichtig sind!

In Demokratien gibt es das kodifizierte Recht in der jeweiligen Verfassung und dann gibt es das Gewohnheitsrecht, das in Österreich charmant mit dem Wort „Usance“ umschrieben wird. Rein rechtlich muss es also keinen Auftrag zur Regierungsbildung geben und es muss daher auch nicht der Wahlsieger damit betraut werden. Der Bundespräsident könnte einfach irgendeinen unbescholtenen Staatsbürger damit betrauen in der Hoffnung, dass dieser dann eine Mehrheit des Nationalrats hinter sich versammle, oder er müsste auch gar niemanden damit beauftragen. Soviel also zur österreichischen Rechtslage.

Daneben gibt es aber ,wie bereits gesagt, auch das Gewohnheitsrecht, die Usance, welches sich aus der langjährigen politischen Tradition abgeleitet und durch die Kontinuität dieser Handlung über viele Jahre Legitimität im Volk erworben hat. Nicht alles ist in einer Demokratie schließlich kodifiziert, es werden auch stets Handlungen und politische Traditionen gesetzt, um das Vertrauen der Wähler zu gewinnen, die nicht 1:1 in der Verfassung vorgeschrieben sind. Eine Usance ist etwa, dass der Bundespräsident seine Parteimitgliedschaft ruhend stellt, um überparteilich zu wirken. Eine andere Usance ist, dass die nach der Nationalratswahl stimmenstärkste Partei den Nationalratspräsidenten stellen soll. Der Bundespräsident hätte also bei der Ernennung des Bundeskanzlers theoretisch sehr viel Macht und könnte auch am Wahlergebnis des Volkes vorbei entscheiden. Mit der Usance, seit 1945 den jeweils Stimmenstärksten auszuwählen, hat man wohl versucht, dies etwas auszutarieren.

Der Sinn einer politischen Tradtion ist, Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit zu transportieren und den Glauben an das politische System zu erhalten. Ihre Ursache haben solche Usancen meist in Zeiten, wo eben nicht danach gehandelt worden war, was man dann nachträglich als falsch empfunden und deshalb als Kontrast auf diese Usance gesetzt hat. Die erste Republik war eine solche Zeit mit Fehlern, auf der viele Usancen der zweiten Republik gründen.

Auftritt Van der Bellen 2024: Ab nun ist alles anders!

Bisher war es nach Wahlen üblich, dass der Bundespräsident den Vorsitzenden der jeweils stimmenstärksten Partei mit der Führung von inhaltlichen Gesprächen beauftragt hat. Diesmal habe ich das nicht getan, weil diesmal der vollkommen unübliche Fall eingetreten ist, dass es eine stimmenstärkste Partei gibt, mit der allem Anschein nach keine der anderen Parteien zusammenarbeiten will.

Bundespräsident Van der Bellen, zitiert nach https://www.bundespraesident.at/aktuelles/detail/was-sich-ausgeht-und-was-nicht

Der Bundespräsident setzt sich also über die Usance hinweg und beauftragt den Parteichef der stärksten Partei und damit den Wahlsieger erstmals nicht mit der Regierungsbildung. Er begründet dies parteipolitisch – wie kein Bundespräsident vor ihm – damit, dass ja niemand mit Kickl zusammenarbeiten wolle. Dass sich das womöglich ändern könnte, wenn Kickl mit der politischen Gravitas eines Regierungsbildungsauftrags ausgestattet wäre und erstmals Wochen Zeit hätte, die ÖVP politisch großzügig einzukochen, bis sie eventuell einknickt, sagt er natürlich nicht dazu. Dass alle Vorgänger Kickls diese Chance hatten, wird zum Detail der Politgeschichte: Ausnahme für die FPÖ! Politische Beobachter möchten in dieser Vorgehensweise sogar ein politisches Kalkül des Bundespräsidenten erkennen, der in der ÖVP das Momentum für eine große Koalition stärken wolle. Wichtige Landeshauptleute wie Johanna Mikl-Leitner, wie auch der Wirtschaftsbund und gewichtige Industrielle aus der IV haben zuletzt schließlich für Blau-Türkis plädiert.

Jedenfalls wundern sich nun hunderttausende österreichische Wähler, welch mangelnde Wertschätzung ihrer Wahlentscheidung von der Hofburg entgegen gebracht wird! Der Demokratie und dem Demokratieverständnis wird damit jedenfalls kein Gefallen getan. Während auf Twitter viele Linke diese Entscheidung des Bundespräsidenten feiern, distanzieren sich die ÖVP-Landeshauptleute der Steiermark, Niederösterreichs und Oberösterreichs davon. Wie schon bei Amtsvorgänger Fischer – einem ebenfalls links stehenden Bundespräsidenten – schwingt auch bei Van der Bellen persönliches politisches Kalkül mit, wie innenpolitische Beobachter festhalten:

„Man merkte es dem Bundespräsidenten an, dass was er da zu verkünden hatte, ungefähr dem entsprach, was er selbst für das Beste erachtet. Das Patt kam ihm durchaus gelegen, könnte man meinen. Fast genüsslich zitierte Van der Bellen die Bedenken, die die Parteichefs von ÖVP und SPÖ gegen Herbert Kickl ihm gegenüber vorgebracht hatten.“

Oliver Pink (23.10.2024): S.1; Die Presse

Kickl hat sich das Recht zu scheitern erarbeitet!

Was hätte also nun in einer anderen Realität stattdessen geschehen müssen? Karl Nehammer hat dem Vernehmen nach bereits am Wahlabend erstmals vergeblich auf Bundespräsident Van der Bellen eingewirkt, Herbert Kickl möglichst rasch den Regierungsbildungsauftrag zu erteilen. Dabei ging es ihm um den Respekt vor dem Wähler, um das Wahlergebnis und natürlich auch um die politische Legitimität seines eigenen Auftrages infolge des von ihm ( Nehammer ) geplanten Scheitern Kickls. Wenn der erstplatzierte Kandidat mit dem Auftrag scheitert, ist es schließlich in den Augen aller Wähler völlig legitim, diesen an den Kandidaten der zweitstärksten Partei weiterzureichen.

Nun hat der Bundespräsident seit der Wahl 3 Wochen verstreichen lassen, in welchen die Parteien miteinander kurz sondiert haben, um den Regierungsauftrag dann schließlich dem Zweitplatzierten zu erteilen. Wertvolle Zeit ist so verloren gegangen. Tatsächlich hätte er Kickl gleich nach der Wahl mit der Regierungsbildung beauftragen sollen. Dann hätte Kickl nach politischer Usance in diesen drei Wochen eine Koalition ausloten können und mit entsprechender Befristung im Falle seines Scheiterns, den Auftrag wieder an den Bundespräsidenten zurückgeben müssen. Dieser hätte dann dem zweitplatzierten Karl Nehammer weitergereicht werden können. Der Usance wäre damit Genüge getan gewesen und die FPÖ hätte sich nicht beschweren können. Genauso ist es nämlich auch Wahlsieger Viktor Klima (SPÖ) ergangen, der im Jahr 2000 keine Koalition bilden konnte und den Auftrag dann zurückgeben musste.

Van der Bellen hat Herbert Kickl nun aber mit seiner Vorgehensweise die Chance genommen, ganz offiziell selbst zu scheitern und zwar infolge seiner eigenen Polemik gegen die politischen Mitbewerber. Der verwehrte Auftrag des Bundespräsidenten, der dafür sogar eine 80 Jahre alte politische Usance beerdigen hat lassen, hat Herbert Kickl ganz unnötig zum Märtyrer gemacht.

Fazit

Ein regierendes System lebt letztlich von der Legitimität im Volk, das es regieren möchte. Diese Legitimität holt es sich in einer repräsentativen Demokratie bei Wahlen und indem die politischen Vertreter nachvollziehbar handeln. Das scheint Van der Bellen hier bewusst etwas ignoriert zu haben, womit er nun bei mindestens 1,4 Millionen Wählern den Eindruck erweckt hat, dass ihre Stimme weniger wert ist. Erstmals ist keine der beiden Großparteien die Nummer 1 im Land, aber bei der Regierungsbildung bleibt alles beim Alten. Van der Bellen hat – mutmaßlich getrieben von persönlicher Vorliebe – nun aus der Situation heraus einen Präzedenzfall geschaffen, um demokratische Gepflogenheiten mit ein paar schönen Worten zu brechen. Er weiß nämlich nur zu gut, dass der Demokratievorwurf gegen Kickl parteipolitisches linkes Geplänkel und die FPÖ selbst eine politisch eingehegte „Systempartei“ dieser Republik ist. Es bleibt also eine Aktion, die politisch sicherlich auf die Linke in Österreich zurückfallen wird.

Wir wundern uns, was mit dem politisch wohl am meisten links stehenden Bundespräsidenten der 2. Republik politisch so alles möglich geworden ist. Man stelle sich vor, ein Bundespräsident Hofer von der FPÖ hätte so gehandelt und die unten folgenden Schlagzeilen produziert. Ein linker Proteststurm in Wien und eine ernsthafte Debatte darüber, wie undemokratisch und „trumpmäßig“ der Bundespräsident gehandelt hat, wären wohl sicher die Folge gewesen.

Nicht Stärksten beauftragt: Das gab es noch nie!

https://www.krone.at/3567797

Ein Novum in Österreichs Innenpolitik

https://www.nachrichten.at/politik/innenpolitik/ein-novum-in-oesterreichs-innenpolitik;art385,3994018

Österreich betritt politisches Neuland – nun soll eine «Koalition der Verlierer» die Regierung bilden

https://www.nzz.ch/international/oesterreichs-praesident-erteilt-verlierern-auftrag-zur-regierungsbildung-statt-fpoe-ld.1853904

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Links & Quellen

https://www.bundespraesident.at/aktuelles/detail/was-sich-ausgeht-und-was-nicht

https://www.bundespraesident.at/aktuelles/detail/was-sich-ausgeht-und-was-nicht#flickr-72177720321423093-6

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