Van der Bellen, der Usancenverächter und die Regierungsbildung!

Bundespräsident Van der Bellen im Gespräch mit Herbert Kickl (FPÖ) nach der Nationalratswahl; Quelle: Peter Lechner/HBF

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich dazu entschieden, erstmals den politischen Usancen der Republik Österreich n i c h t zu entsprechen und dem Wahlsieger Herbert Kickl nicht den Regierungsbildungsauftrag zu geben. Er begründet diese seine Entscheidung mit diversen Aussagen im Wahlkampf, wonach niemand mit der FPÖ koalieren wolle, woraus er ein politisches Patt ableitet. Tatsächlich nimmt er damit aber Verhandlungsergebnisse vorweg und versteckt seine Agenda hinter den Aussagen von Parteichefs, bevor irgendwelche Verhandlungen überhaupt erst begonnen haben. In diesem Beitrag wollen wir uns diese Vorgangsweise des Bundespräsidenten nun einmal genauer ansehen.

Bundespräsident Van der Bellen im Gespräch mit Bundeskanzler Nehammer (ÖVP) nach der Nationalratswahl; Quelle: Peter Lechner/HBF

Die Van der Bellen-Strategie

Da also weder SPÖ noch ÖVP mit Herbert Kickl koalieren wollen, argumentiert Van der Bellen, gäbe es nun eine Pattsituation. Anstatt der politischen Usance unserer Republik zu folgen und den Vertreter der stärksten Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen, spielt Van der Bellen so also auf Zeit. Nun sollen deshalb die Vertreter der drei stärksten Parteien weitere Tage miteinander sondieren. Der Präsident macht es sich hier also leicht, indem er politisch Herbert Kickl in Gesprächen durch die offizielle Beauftragung nicht weiter aufwertet.

Das „politische Patt“ ist dabei ein Versuch Van der Bellens, Herbert Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung durch die Blume zu verweigern. Van der Bellen hat das in seiner politischen Laufbahn auch als Bundespräsident in Interviews ja schon oft angedroht. Tenor: Mit der FPÖ gehe vieles politisch eher nicht. Nun setzt er diese Aussagen wirklich um, obwohl in Umfragen 2 von 3 Österreichern, wie auch der amtierende Bundeskanzler Nehammer und SPÖ-Vizechefin Bures eingefordert haben, zuerst den Stärksten zu beauftragen. Realpolitisch sollte „ein Patt“ nämlich keine Sorge des Bundespräsidenten sein. Schließlich könnte der Bundespräsident Kickl einen engen Zeitkorridor stecken, um eine Regierung zu bilden. Das „Patt“ würde dann erst in der Folge entstehen und müsste von Kickl selbst eingeräumt werden.

Van der Bellen wünscht sich dagegen, dass in den Parteichefgesprächen die drei Parteichefs ihre Verantwortung wahrnehmen und nun weiter sondieren. ÖVP und SPÖ sollen also Van der Bellen die potentielle politische persönliche Aufwertung der FPÖ abnehmen, nämlich Kickl zuerst beauftragen zu müssen und dann den Auftrag wieder einzusammeln. Am liebsten wäre es ihm wohl, wenn er in der Folge Karl Nehammer möglichst rasch einen Auftrag erteilen könnte.

Bundespräsident Van der Bellen im Gespräch mit Andi Babler (SPÖ); Quelle: Peter Lechner/HBF

Die politische Realität und Usance

In Österreich ist es aber aus gutem Grund seit Jahrzehnten  politische Usance, dass der Wahlsieger nach Stimmen auch mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Das würde übrigens auch dem demokratischen Respekt vor dem Wähler gebühren. Man wird ja in einer Demokratie nicht Stimmenstärkster, wenn man nicht eine relative Mehrheit der Österreicher hinter sich hat. In der Demokratie nach Verhältniswahlrecht muss die relative politische Stärke daher gewürdigt werden, um nicht die Legitimität des Systems zu unterminieren. Bis dato ist es auch nie ein Kriterium gewesen, mit wem dann letztlich eine Koalition eingegangen worden ist. So wurde zum Beispiel SPÖ-Chef Viktor Klima 2000 von Bundespräsident Klestil mit der Regierungsbildung beauftragt, obwohl bereits 2 Monate vorher erfolglos sondiert worden war. Grund dafür war, dass er trotz des Misserfolgs die stärkste Partei vertrat. Erst als Klima gescheitert war und dies vor dem Bundespräsidenten eingeräumt hatte, ging der Auftrag an Wolfgang Schüssel!

Van der Bellen ist somit der erste Bundespräsident, welcher der stimmenstärksten Partei genau diese politische Normalität vorerst verweigert hat. Er entwertet damit ein Stück die legitime Wahl einer relativen Mehrheit der Österreicher. Rein rechtlich könnte er natürlich jeden unbescholtenen Österreicher mit einer Regierungsbildung beauftragen, nur wäre das realpolitisch nach einer Wahl bis dato völliges Neuland. In Österreich spricht man ja gerne von der gelebten Demokratie und meint damit natürlich Usancen. So ist die Wahl des Nationalratspräsidenten ebenfalls eine Usance und zwar eine ebenso vernünftige, die das Wahlergebnis abbilden soll.

Wir wundern uns 2024 was politisch alles möglich ist!

Van der Bellen hat nicht zuletzt deshalb die Bundespräsidentenwahl 2016 gewonnen, weil politische Beobachter in den obigen Satz von Norbert Hofer allerlei Demokratieablehnendes hineininterpretiert haben. In linken Kreisen wurde Hofer damals als Gefahr geframt, der einfach seinen eigenen Willen auch gegen andere Parteien durchdrücken würde. Nun wundern wir uns 2024, dass erstmals der nach dem Votum der Bürger stimmenstärkste Parteichef kein Mandat zur Regierungsbildung bekommt.

Der Bundespräsident scheut hier, Kickl mit der Regierung zu beauftragen, obwohl er weiß, dass er realpolitisch das Mandat dazu hat. Linke Ideologie siegt hier offensichtlich über Realpolitik. Karl Nehammer hat schließlich nicht umsonst den Bundespräsidenten schon am Wahlabend bekniet, Herbert Kickl den Auftrag zum Schmieden einer Koalition zu geben, bevor jemand anderer, wie er selbst zum Beispiel, zum Zuge kommt und zwar wegen der Legitimität der Wahl und des Wahlsieges! Da mag man noch so oft die falsche Analyse wiederholen, dass 71 Prozent Kickl nicht gewählt haben. Tatsächlich kann man das nämlich nur in einem System mit Mehrheitswahlrecht behaupten. Beim Verhältniswahlrecht wählen wir nämlich nicht „gegen jemanden“, sondern für etwas.

Fazit

Bundespräsident Van der Bellen nimmt mit seiner durchsichtigen politischen Taktik Herbert Kickl die Chance, selbst an seiner politischen Art zu scheitern und er deligitimiert damit ein Stück das Wahlergebnis. Nach österreichischer politischer Usance steht dem Ersten einer Wahl der Regierungsbildungsauftrag zu und daran gab es bisher nichts zu rütteln. Mit der Ignoranz dieser Vorgehensweise wird so nun erstmals die Wahlentscheidung von 1,4 Millionen Österreichern ein Stück weit mit Füßen getreten. Jeder kann sich ausrechnen, dass in der gleichen Situation mit einer Babler-SPÖ auf Platz 1 natürlich die SPÖ den Auftrag bekommen hätte, selbst wenn ÖVP und FPÖ eine Koalition vehement abgelehnt hätten.

Die Dreierkoalition von ÖVP, SPÖ und NEOS startet nun damit wahrscheinlich mit einem ideologischen Geburtsfehler! Herbert Kickl wird nun jahrelang zurecht kritisieren können, dass er als Wahlsieger den Regierungsbildungsauftrag nicht, so wie alle Wahlsieger seit 1945 vor ihm, bekommen hat. Dem Demokratieverständnis der vielen FPÖ-Wähler werden Van der Bellens taktische Spielchen jedenfalls einen Dämpfer versetzen und die Risse in der Gesellschaft werden auf diese Weise eher verbreitert, denn dass „die da oben“ es sich richten können, wie es ihnen passt, wird einfach in der jüngsten Aktion des Herren Bundespräsidenten für sie total deutlich.

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